Warum haben Taichi-Übungen so seltsame, blumige Namen?

Vorwort

Ein Gymnastiklehrer wird sagen: „Weil sie aus China sind„.

Ein durchschnittlicher Tai Chi – Lehrer würde sagen:
Die Bewegungen des Tai Chi (Chuan) sind als erstes durch die Beobachtung des Kampfes zwischen einer Schlange und einem Kranich angeregt worden und entstanden. Die Bewegungen des Tai Chi (Chuan) ahmen die natürlichen Bewegungen und Techniken dieser Tiere nach – weitere sind im Laufe der Zeit hinzugekommen„.

Ein traditioneller chinesischer Meister würde entweder gar nicht antworten oder Dir als Koan eine Gegenfrage stellen, wie beispielsweise: „Das Tao kennt vieles – Was kennst Du?„.

Wir vom Tai Chi Gung – Landessportverein sind der Meinung, dass es an der Zeit ist „Klartext“ zu reden: Schluss mit Ausflüchten oder verklausulierten Reden – Der westliche Mensch braucht klare Ansagen und unserer Kultur angepasste Lehrmethoden.

Daher unsere Antwort:

Die Übungen oder „Abschnitte innerhalb einer Form“ haben in Tai Chi (Chuan) deshalb eine blumige, bildhafte Bezeichnung, weil damit gleichzeitig der Hinweis auf „innere“ Vorgänge bei deren Ausführung deutlich gemacht werden soll.

Es geht weder um die reine körperliche Bewegungsfolge, noch (meistens) um die tatsächlich – körperliche – Nachahmung der Bewegung von Tieren.

Die verwendeten Tiernamen oder Bezeichnungen von in der Natur vorkommenden „Gegenständen“ oder „Ereignissen“ sind als Symbole zu verstehen und stellen Allegorien dar.

In Tai Chi Gung bezeichnen wir daher auch eine zusammengehörige Bewegungsfolge als „Bild“ ( …und haben definiert, was ein →Bild „ausmacht“, bzw. stellen nach und nach unseren Mitgliedern diese Bilddokumentationen auch schriftlich zur Verfügung – siehe dazu auch →BilddokumentationAnmerkung: Ein Riesenprojekt!).

Ein „Bild“ ist daher eine gut gewählte Bezeichnung, weil diese verdeutlicht, dass es AUCH um eine Sichtweise, eine Vorstellung geht.

Die Bedeutung der Symbole und Allegorien erschließen sich einem Taichi-Praktizierenden erst im Laufe der Zeit – Habe Geduld mit Dir selbst.
Es braucht einfach Zeit, bis sich Dir viele Hintergründe offenbaren und sich Zusammenhänge zwischen den Bezeichnungen und der dahinterstehenden „Kraftwirkung“ bzw. „Manifestation“ erschließen und diese verstanden werden können.

Manche „Tiere“ in den Bild- oder Übungsbezeichnungen stehen beispielsweise für „Eigenschaften„, welche auch in der chinesischen Astrologie ihre Verwendung finden: „Affe„, „Schlange„, „Hahn„, usw.

Andere Namen verweisen zum Beispiel auf „Manifestationen“ oder „Fabelwesenzuordnung“ der →Ba Gua (siehe dort):
Berg„, „See„, „Donner„, bzw. auch „Phoenix“, „Tiger“ etc.

Anmerkung:
Es darf dabei auch nicht vergessen werden, dass die Übungen im Laufe von Jahrhunderten entstanden und gepflegt wurden, daher auch Symbole im Laufe der Zeit angepasst wurden, oder andere Verwendung fanden – oder andere Symbole und Allegorien verwendet wurden.

Exkurs:
Die Schwierigkeit der Dokumentation im Westen liegt auch darin, dass die Übertragung der chinesischen Zeichen (Laute) ins Lateinische weder einheitlich erfolgt(e), noch gleichlautende Begriffe verwendet werden, sowie ebenfalls „viel herumgedichtet“ wird(wurde) –
siehe dazu auch: →Übertragungsprobleme.

Beispielsweise

Der Formen-Abschnitt, die Übung – besser: Das „Bild“ – „Den Tiger zum Berg tragen„, bedeutet keinesfalls, dass sich jemand während der Ausführung vorstellen solle, wie er eine schwere Raubkatze einen Abhang raufschleppt, genausowenig wie ein vermeintlicher „Kung-Fu-(Film)-Spezialist“ meinen könnte, die innere Einstellung bezeichne einen „Tigerstil“ oder ähnliches –

Sondern ist

  1. Ein „Übertragungsfehler“ – eine verständlichere Übersetzung oder Bezeichnung wäre: „Den Tiger umarmen und zum Berg zurückkehren„,
    womit
  2. die Assoziationsketten angestossen werden: „Tiger“ = Westen = →Grundtechnik „ji“ (dt.kurz: „drücken“), „Wasser“ (sensibel, emotional, nachdenklich, weich, das „Abgründige“, etc.) auch Waffe: Säbel – sowie „Berg“ = Nordwest = Grundtechnik „kao“ (dt. Kursbezeichnung „Schulterstoß“ – in dieser Bewegungssituation ebenfalls ungeeignet als „Bezeichnung“, besser: „Wie ein Berg rascher Überwindung ein Hindernis ist, so stoppt „kao“ machtvoll die Bewegung des Gegners“ – „Stillehalten, im Weg stehen – wie ein Berg“) = „zweifach unsichtbar ‚yin‘, nach außen ‚yang‘ „, etc. -Welche bei der Ausführung körperlich, wie auch geistig, mental (Einstellung und „Haltung“), berücksichtigt werden sollen – sprich: Zuerst „Tiger“ (Grundtechnik „ji“) dann Übergang zu „Berg“ (Grundtechnik „kao“)!

Zusammenfassend kurz gesagt:

Die Übung soll auch die damit beschriebenen „Eigenschaften“ (bzw. auch Imaginationen) beinhalten und vom Ausführenden berücksichtigt werden.

Also: Ein „Bild“ sagt mehr als tausend Worte!

Hinweis:

In den Bezeichnungen der Übungen erkennst Du auch manchmal, ob es sich tatsächlich um eine Taichi-Übung, eine aus der Kampfkunst entnommene, oder um eine erst im Westen entstandene „Gymnastikübung“ handelt.

Beispiele: „Wolkenhände“, „Stehen im Wasser“, bzw. „Fersenstoß rechts“ oder „Ellbogen kreisen“.

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