Der Meditationsaspekt bei Tai Chi Gung

Glossareintrag: Meditationsaspekt

Die Beherrschung des Meditationsaspektes kann neben der Beherrschung des Atemaspektes als einer der wichtigsten Faktoren zur Vertiefung einer Tai Chi – Übung (einer →Form) angesehen werden. Erst mit Bewältigung beider →Aspekte kann überhaupt erst von Beherrschung einer „inneren“ Kampfkunst gesprochen werden.

Der Meditationsaspekt von Tai Chi (Chuan) ist ebenso direkt im Zusammenhang mit dem Imaginationsaspekt im Zusammenspiel mit der Atmung zu sehen.

Darüber hinaus hängt der Meditationsaspekt selbstverständlich auch direkt mit dem →Gesundheitsaspekt zusammen –
Nur zum Beispiel:

  • Je leichter jemand zu meditieren vermag, desto leichter ist es demjenigen möglich, seine geistigen, seelischen und körperlichen Vorgänge zu beeinflussen und sich zu beruhigen, also Stress auszugleichen, bzw. sogar zu vermeiden;
  • Tiefe Entspannung wirkt sich positiv auf das Herz-Kreislaufsystem sowie auf das Immunsystem aus;
  • Die erreichte Gelassenheit verhindert die leichte Erregbarkeit durch externe Einflüsse und vermindert daher ebenfalls Angstzustände, Unwohlsein, Nervösität, Magen- und Verdauungsprobleme, Aggressivität und alle damit zusammenhängenden negativen Auswirkungen auf Körper, Geist und Gemüt;
  • Menschen, die regelmäßig meditieren, schlafen tiefer, ruhiger und erholsamer;

Anmerkung
Es muss an dieser Stelle einfach wiederholt werden:
Das Praktikum von Tai Chi (Chuan) [bzw. Taiji Quan] entspricht der kontinuierlichen Ausübung einer einzigartigen Bewegungskunst, mit einer genialen, gleichzeitig anzuwendenden harmonischen Kombination verschiedenster Aspekte, welche miteinander korrelieren und sich gegenseitig beeinflussen sowie auch verstärken, um insgesamt die körperliche, seelische und geistige Entwicklung eines Menschen auf positive Art und Weise zu gewährleisten.

Die „Meditation in Bewegung“ bedeutet dabei keineswegs, wie dies sehr häufig in vielen öffentlich zugänglichen Tai Chi – Anleitungen beschrieben wird, dass „einfach im Geiste“ – also mental – gerade anstehende Bewegungen im Ablauf einer Form vorweggenommen werden.

Entgegen dieser……vielfach geäußerten und auch publizierten Ansicht, dass die Vorstellungskraft bei der Ausführung einer Form dazu genutzt werden solle, sich die (körperlichen) Bewegungsabläufe während oder gerade „vor“ tatsächlicher Durchführung selbiger im Geiste vorzustellen, entspricht jene Anschauung eben NICHT der ursprünglichen Überlieferung.
Jene Idee „der geistigen Vorwegnahme“ entspringt dem modernen „Mentaltraining“, welches – überaus erfolgreich – auch im Spitzensport eingesetzt wird und durchaus(!) auch in gleicher Art und Weise zur Verbesserung und Perfektionierung der körperlichen Aspekte (Abläufe, Folgen, Positionen, Bewegungen) dienen kann – Aber: Dies ist ein anderes Thema, eine andere Anwendung, und hat eben nichts mit jenen geistigen Vorgängen zu tun, welche die Ausübung der „inneren“ Kampfkunst und des Tai Chi (Chuan) ausmachen.

Wichtig:
Um eine klare Abgrenzung zum „Mentaltraining“ zu treffen und festzuhalten, dass es sich um eine andere Art der „mentalen Vorstellung“ handelt, haben wir in Tai Chi Gung hierfür als Begriff das Fremdwort „Imagination“ gewählt.
Eine Imagination „begleitet“ ein →Bild, bzw. eine Bewegung – sozusagen „parallel“ auf einer anderen Ebene – und soll dabei zwar dieser folgen, aber eben nicht jene körperliche Handlung „im Geiste wiedergeben“ oder sogar „vorgeben“.
Meistens ist jene dabei verwendete „geistige Vorstellung“ – die Imagination – völlig vom Körperlichen gelöst (…und entspricht daher für viele Menschen „nicht den materiellen Tatsachen“ – …und genau so soll es auch sein)!

Was bedeutet Meditation?

Tja – leider ist dies wieder so ein Thema und Begriff für eine Tätigkeit bzw. den Bewusstseinszustand eines Menschen, welcher viel schwerer zu erklären ist, als dies durch einige Übung leicht von einem Menschen selbst erfahren werden kann.

Wagen wir dennoch eine Erklärung, auch wenn jene in der Kürze keineswegs umfassend oder gar vollständig sein mag.

Mit Sicherheit lässt sich jedenfalls feststellen: Meditieren heisst nicht schlafen!
Der Geist des Menschen ist im Gegenteil zum Schlafzustand „hellwach“ und sich selbst und seiner Umgebung bewusst.

Dennoch sind in den allgemein bekannten Meditationsübungen im Liegen, Sitzen oder auch Stehen (z.B. wie in Yoga oder beim Autogenen Training), meist die körperlichen Aktivitäten minimiert, sowie auch die inneren körperlichen Vorgänge (z.B. Herzfrequenz und Atemrhytmus) reduziert, bzw. auf ein dem Schlafzustand ähnlichen Aktivitätsniveau gesenkt.

Mentale Vorgänge werden dabei weniger als Konzentration (d.h.: Die Fokussierung der Gedanken auf einen Punkt), als vielmehr als Kontemplation (d.h.: Das Kreisen der Gedanken „um“ ein bestimmtes Thema oder Vorgang) durchgeführt.

Anmerkung: Anhaltende willentliche Konzentration strengt enorm an – Kontemplation hingegen entspannt!

Wichtiger Exkurs:
Der „Wille“ spielt nur insofern eine Rolle, als dieser verantwortlich für die ENTSCHEIDUNG ist – Nicht mehr, nicht weniger! Sprich: „Ich entscheide mich, etwas zu tun – Jetzt! …und dann mache ich das (Punkt).“

Was genau bei einer Meditation passiert, ist leider noch immer nicht vollständig wissenschaftlich erklärt. Aber dank vielfacher Untersuchungen und Studien mittels EEG (Elektroenzephalograph – Messung der elektrischen Gehirnströme, der „ Gehirnwellen„), konnte festgestellt werden, dass die winzigen elektrischen Signale des Gehirns, die wechselnden Muster geistiger Aktivität widerspiegeln.

Hierbei konnten folgende Einteilungen vorgenommen werden:

Beta, Beta-Wellen (oder Beta-Stadium)
schwingen mit ungefähr 13 bis 30 Hertz (Hz, 13 bis 30 mal pro Sekunde).
Sind jene Frequenzen bei der Messung der Gehirnwellen eines Menschen vorherrschend, so ist dies verbunden mit normalem, wachen Bewußtseinszustand – die Aufmerksamkeit jenes Menschen ist auf die äußere Umgebung gerichtet.
Anmerkung: Wobei Gehirnwellenmessungen in den oberen Grenzbereichen (knapp unter oder um die 30 Hz) absolut mit dem Zustand Stress gleichgesetzt werden können.

Alpha, Alpha-Wellen (oder Alpha-Stadium)
schwingen mit 8 bis 12 Hz.
Der Mensch ist entspannt, denkt an nichts besonderes – hat manchmal das angenehme Gefühl ein wenig zu „schweben“ (Tagträume). Diese sind oft voherrschend in vielen Arten der Meditation. Mit Alpha-Wellen hat man in den vergangenen dreißig Jahren Stille und klare geistige Zustände („Alpha-Stadium“) verbunden. Diese Wellenmuster werden oft auch während des Träumens (im Schlaf) festgestellt.

Theta, Theta-Wellen (oder Theta-Stadium)
schwingen mit 4 bis 7 Hz.
Diese werden in Stadien tiefster Entspannung angemessen. Theta-Aktivität wird auch verbunden mit „Blitzen kreativer Einsicht“, „Lernen im Schlaf“ und lebhaften geistigen Vorstellungen – „Theta-Stadium“ wird auch in einigen Formen der Meditation festgestellt.

Delta, Delta-Wellen (oder Delta-Stadium)
schwingen zwischen 1 und 3 Hz.
Diese langsamste Gehirnwellen-Aktivität tritt in der Regel nur im traumlosen Tiefschlaf auf; im Wachzustand konnten diese nur bei sehr erfahrenen Meditierenden nachgewiesen werden.

In der Praxis bedeutet dies, dass ein Meditierender seine Gehirnwellenaktivität „verlangsamt“ (vorherrschende langsam schwingendere Gehirnwellen) und somit von einem Beta-Stadium („Alltagsbewußtsein“) in andere – „tiefere“ – Bewusstseinszustände gelangt (Alpha- oder Theta-Stadium), ohne einzuschlafen!

Die Aussage „den Geist zu beruhigen“ ist daher wortwörtlich zu nehmen – „Übersetzen“ wir also diesbezügliche Anleitungen alter Tai Chi-Überlieferungen, so bedeuten diese nach obiger Terminologie nichts anderes, als während der Übungen vom „normalen“ Beta-Stadium in das Alpha-Stadium, sowie schlußendlich in das Theta-Stadium, mit lebhaften geistigen Vorstellungen, welche nicht auf die äußere Umgebung gerichtet sind, zu gelangen.

Kurz: Im Mentaltraining wäre der Alpha-Zustand vorherrschend – Die Anwendung des Imaginationsaspektes im Tai Chi bedeutet hingegen, dass der Theta-Zustand vorherrschend ist.

Hinweis:

Wie in jeder Meditationspraxis, bedeutet eine ruhige, gelassene Bauchatmung (d.h.: Korrekte Atemtechnik des Tai Chi), ebenso eine „Beruhigung“ der Gefühle sowie des Geistes.

Was bedeutet also „ Meditation in Bewegung„?

Alpha- oder Theta-Zustände der Gehirnwellenaktivität können nicht nur im Liegen, Sitzen oder Stehen „erzeugt“ werden, sondern genausogut während – bzw. „in“ – einer Bewegung. Und dies passiert beim „richtigen“ Praktikum von Tai Chi (Chuan).

Als Vergleich für das Verständnis des Meditationsaspekts in Tai Chi Gung können uns die körperlichen Handlungen beim Autofahren dienen. Beim Führen eines Kraftfahrzeuges – Wichtig: Nachdem(!) man das Fahren bereits erlernt hatte.

Wenn wir beispielsweise mit einem Auto von A nach B gelangen wollen und uns in das Fahrzeug setzen und schließlich auf den Straßen Richtung unseres Zielortes fahren, so denken wir weder ständig an das Ziel, noch konzentrieren wir uns auf die einzelnen körperlichen Handlungen, welche laufend im Zuge der Fortbewegung mittels Autos gemacht werden müssen (wie z.B.: Mit dem linken Fuß Kupplung treten, mit einer Hand das Steuer loslassen und Schalten, dann wieder die Hand zum Steuer, mit dem rechten Fuß Gas geben, …, Bremse betätigen, …, auf den Tacho schauen, …in den Spiegel schauen, Kopf drehen, …, jetzt Blinker setzen, Lenken, dann… usw. usf.).
Im Gegenteil: Nahezu alle körperlichen Bewegungen, um das Fahrzeug zu bedienen „laufen automatisch“ – Ohne dass wir uns darauf konzentrieren, geschweige denn mental den gerade anstehenden Bewegungsablauf vorstellen müssten, um problemlos voranzukommen. Wir konzentrieren uns auf den Verkehr, also auf das, was um uns herum auf der Straße gerade eben geschieht.
Na ja, abgesehen von einigen Momenten, oder auch Zeitgenossen, welche die durch „Loslösung von der Körperbewegung“ somit „gewonnene Gedankenfreiheit“ dazu benutzen, sich angeregt mit Mitfahrern zu unterhalten, Musik zu hören, oder alle anderen Dinge in einem Auto während einer Fahrt zu machen, welche aus gutem Grund als gefährlich angesehen werden, da die Umgebung „vergessen“ werden könnte oder man gar nicht mehr vollständig körperlich in der Lage ist, sein Gefährt zu bedienen.

Genau so(!) „funktioniert“ Tai Chi.
Ist beispielsweise eine Form einmal soweit verinnerlicht, dass jene „automatisch“ abfolgen kann, ist der Geist frei, sich inneren Ebenen zuzuwenden. Man stellt sich bei der Ausführung der Form, dann eben auch NICHT die folgenden Bewegungsschritte oder aktuellen körperlichen Aktionen vor – sondern „denkt“ und visualisiert „etwas anderes“, eben jene bestimmten Vorstellungen und Bilder, welche uns durch den Imaginationsaspekt vorgegeben, bzw. durch die „→Grundtechniken“ (→die Ba Gua) überliefert wurden (Damit erreicht man – siehe oben – Theta-Stadium mit „lebhaften geistigen Vorstellungen“).

Natürlich: Voraussetzung ist – genau wie beim Autofahren – dass alle körperlichen Abläufe zuerst einmal solange und so oft geübt werden, bis man jene „unbewusst“, also „völlig automatisch“ ausführt. Dann kann die Aufmerksamkeit problemlos der Imagination gewidmet werden. Im Unterschied zu vielen anderen bekannten Meditationen, bleiben dabei selbstverständlich die Augen geöffnet.

Speziell für den Kampfkunstaspekt bedeutet jene Meisterung dann auch: Zugleich(!) natürlich keineswegs das „Ringsherum“, „den Verkehr“ zu übersehen – Also: „Augen auf“ – wie beim Autofahren!

Und damit beherrscht jemand schließlich auch „Die Meditation in Bewegung“.

Darüber hinaus:

Je „länger“ – also umfangreicher und komplizierter die Solo-Form, desto mehr Bewegungen müssen „automatisiert“ werden.
Umso länger benötigt jemand dann auch, um überhaupt erst einmal den Atemaspekt, geschweige denn, den Meditationsaspekt erfahren zu können.
Der Tai Chi Gung – Landessportverein bevorzugt daher eine – relativ kurze, aber dennoch: gezielt gewählte – Soloform (die „5-Bilder-Form“), für alle Einsteiger, damit schon nach wenigen Wochen erste Erfahrungen mit einer „vollen“ Form gemacht werden können.
Ein Absolvent des Einsteigertrainings „weiß“ aus eigener Erfahrung dann auch, dass die Beherrschung des körperlichen Ablaufes jeder anderen Solo-Form, beispielsweise der →Peking-Form („25-Bilder-Form“) oder der 37-Bilder-Form, usw., immer nur den Beginn des „tatsächlichen“ Erlernens jener Form(en) darstellen kann und „danach“ erst die eigentliche Praxis in Tai Chi Gung (sprich: das Autofahren) beginnt.

Siehe dazu auch: →Einsteigertraining

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