Irrtum 9: Einmal ein Tai Chi Kurs reicht

(aus der Serie: Irrtümer über Tai Chi, erstmals erschienen auf mein.salzburg.com am 15. Mär 2010 um 08:51 in Fitness )

Da ich gerade in letzter Zeit wieder mit Menschen zu tun hatte, welche mir berichteten, bereits jüngst einen Tai Chi – Kurs absolviert zu haben, aber kaum Aussagen oder Präzisierungen darüber treffen konnten, „was“ sie dabei eigentlich erlernt hatten – also welche „Form“, welche Abläufe, welche Grundpositionen und Techniken – möchte ich dieses Thema hier aufgreifen.

Ich hatte bereits schon einmal geschrieben, dass ich immer wieder auf Menschen treffe, welche mir erzählen, bereits einmal(!) einen Tai Chi Kurs – meist: „vor langer Zeit“ – besucht zu haben und daher Tai Chi (Chuan) „kennen“.

Abgesehen davon, dass „Kennen“ keineswegs „Können“ bedeutet, stellt sich oft die Frage: „Und was geschah danach?“.
Meistens folgt darauf ein Schweigen, was auch als Antwort: „Nichts“ angesehen werden kann. Und in wenigen Fällen, wo die Begeisterung und der Enthusiasmus noch aufrechterhalten werden konnte, hört man, dass noch einige Zeit selbst versucht wurde, das Erlernte weiter zu praktizieren oder noch ein weiterer Kurs – oft mit völlig anderen Inhalten, Formen oder Lehrer – besucht wurde, bis jene oder jener frustiert aufgegeben hat, da entweder die Kontinuität einer fortgesetzten Anleitung fehlte oder sich das Gefühl einstellte, keinerlei Fortschritte zu erzielen.

Natürlich – wer wünscht sich das nicht: Einmal einen Tai Chi Kurs zu besuchen und nach Abschluss desselben mit allen Voraussetzungen und Erfahrungen ausgestattet zu sein, wofür „ein Könner“ Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte trainiert hat!
(Falls jemand so etwas kennt: Bitte, ja, ich möchte auch!).

Leider „funktioniert“ dies eben nicht und im Grunde ist der Denkansatz dazu grundlegend falsch – dies beinhaltet auch der Begriff und die Bezeichnung: „Bewegungskunst“. Wann ist eine „Kunst“ oder ein Künstler fertig, wann hat dieser seine Tätigkeit abgeschlossen? – Ist hierbei nicht vielmehr sein „Werk“, sein „Sein“ gemeint?
Wie schon Erich Fromm in seinem Buch „Die Kunst des Liebens“ erläuterte, müssten wir auch hierbei in unserer Einstellung zwischen „Sein“ und „Haben“ unterscheiden: Tai Chi (Chuan) können wir nicht „besitzen“, sondern nur ausführen (also „leben“ – zumindest jedoch: „tun“).
Wie ein (Werbe-) Spruch schon sagt: „Der Weg ist das Ziel“.

Ein Tai Chi Kurs kann(!) uns nur auf „den Weg bringen“.
Sofern – das ist meine Meinung, aufgrund der Erfahrungen und den vielen geführten Gesprächen (s.o.) – genau jene Einstellung (eben: „der Weg ist das Ziel“), sowie das geeignete „Rüstzeug“ (dazu gehören: klare für den westlichen Menschen verständliche Definitionen und Zwischenziele, Vergleichsmöglichkeiten zu verschiedenen Stilen und Lehren, sowie Fortschrittsbewertungen) vermittelt werden.

Somit kann ein(!) Tai Chi Kurs zwar den Beginn von Tai Chi Chuan markieren, stellt aber gerade einmal einen Bruchteil „der Kunst“ und nicht einmal annährend „den Anfang“ dar.
Der Anfang wäre die Integration der erlernten Bewegungen („Bewegungsmuster“) im Alltag: „anders“ gehen, stehen, heben, beugen, …, eben „sich anders bewegen“. Und das erfolgt erst im Laufe der (Trainings-)Zeit – meist: erst nach einem Kurs!
(Anmerkung: Natürlich auch abhängig von der Dauer desselben – ich schätze: vielleicht nach 5-7 Monaten – also wenn ein Kurs mindestens solange dauert, dann…)

Deswegen sollte aber jetzt niemand enttäuscht oder erneut frustiert, ob dieser Aussagen, sein: besser ein Tai Chi – Wochenende oder ein paar Stunden in einigen Wochen, als niemals damit in Berührung gekommen zu sein, denn es besteht die Chance darauf aufzubauen!

Aber: ein Kurs ist weder Ersatz, noch tatsächliches „Praktizieren von Tai Chi“ – sondern ein erster Schritt auf dem Weg davon.

Das Faszinierende dabei ist: Erstaunlicherweise gehen die bereits erlernten körperlichen Fähigkeiten und Fertigkeiten – fast ziemlich genau so langsam – erst wieder verloren, wie man benötigt hatte, sich diese anzueignen!

Und die beste Nachricht:
Wobei man die „Kenntnis“ der Technik(en) im Grunde, wie beim Fahrradfahren, niemals verliert!
Selbst wenn jemand jahrelang pausiert hatte, wird er sich beim erneuten „ersten Mal“ selbstverständlich ebenso anstrengen müssen, als ob er gerade wieder das Fahrrad aus der Garage geholt hat, dennoch „kann er fahren“.

Nach meiner persönlichen, aus 14 Jahren gesammelten Erfahrung im Tai Chi – Training bedeutet dies:

  • 3-4 Wochen Pause (also: „absolutes Nichtstun“) haben keinerlei Auswirkung, nicht einmal auf die Kondition! (wohlgemerkt: für die Ausführung einer bestimmten Form – nicht einer Sportart allgemein!)
  • Ab einem 1/2 Jahr Pause beginnt nach und nach, langsam, der Verlust der bereits erreichten Fertigkeiten.
  • ca. 1 Jahr Pause und man beginnt körperlich nahzu von vorn („nahezu“ bedeutet, dass alle[!] Bewegungsabläufe erst wieder regelmäßig gemacht werden müssen, um diese wieder zu „beherrschen“, aber der Körper – wie beim Fahrradfahren – „sich erinnert“. Anm.: natürlich nur an das, was er bereits konnte!).

Also: Wer bereits einmal einen Tai Chi – Kurs besucht hatte und wieder „den Anschluss“ finden oder gerne „mehr“ über diese faszinierende und viele Aspekte umfassende Bewegungskunst aus China erfahren möchte, dem bietet der Tai Chi Gung – Landessportverein immer wieder die Gelegenheit beim aktuellen Einsteigertraining in Salzburg mitzumachen, um schließlich den Weg – vielleicht gemeinsam mit uns im regelmäßigen Vereinstraining – fortzusetzen.

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