(aus der Serie: Irrtümer über Tai Chi erstmals erschienen in mein.salzburg.com am 14. Apr 2010 um 13:40 in Fitness)
Vorab – Begriffserklärungen:
- Unter einer „Form“ wird in der chinesischen Bewegungskunst Tai Chi Chuan (nach Pinyin: Taijiquan) ein bestimmter, vordefinierter Bewegungsablauf bezeichnet, welcher von einem ebenfalls festgelegten Beginn, bis zu einem genauso definiertem Ende über eine Anzahl von – wiederum festgelegter – Bewegungsfolgen oder Positionen, zu durchlaufen bzw. „zu üben“ ist.
Dies könnte im Kampfsport z.B. verglichen werden, mit der sogenannten „Kata“ im japanischen Karate oder den „poomse“ im koreanischen Tae Kwon Do – im Wintersport z.B. mit einem „Pflichtprogramm“ oder einer „Kür“ im Eiskunstlauf.
Oft wird dabei auch von einer „Solo-Form“ gesprochen, weil – bleiben wir ruhig bei diesem Begriff – diese „Kür“ dann eben „allein“ zu machen ist.
- Unter Ablauf können wir hierbei also die „technische“, körperliche (sichtbare) Abfolge aller Bewegungs- und Positionsfolgen verstehen.
Wenn jemand also den Ablauf einer Form kennt – und meinetwegen auch: den vorgeschriebenen Bewegungen selbst zu folgen, sowie dabei die festgelegten Positionen einzunehmen vermag, können wir dann schon sagen, dass derjenige „die Form“ beherrscht?
Im Grunde genommen: Nein! – Denn selbst wenn die Bewegungsfolgen nachvollzogen werden können, entspricht dies „nur“ der „äußeren Form“ (sozusagen: „der körperliche Anteil“) und wäre demzufolge nichts weiter als eine spezielle Art von chinesischer Gymnastik.
(Anmerkung: Natürlich spricht nichts dagegen, dass jemand Gymnastik macht, …)
Das Praktikum von Tai Chi (Chuan) ist aber „mehr“: es geht hierbei auch um „innere“ Künste bzw. „Fähigkeiten“, welche sich den meisten erst nach längerem Training offenbaren – sofern in den Anleitungen nicht gänzlich „auf deren Erwähnung“ verzichtet wurde, bzw. jemand infolgedessen nicht aufgrund „der Leere“ früher oder später das Training (Praktikum) einstellt.
Jene „inneren“ – also immateriellen – Anteile des Tai Chi Praktikums lassen sich also weder sehen, messen, wägen oder zählen. Nichts desto Trotz erkennt jemand der Tai Chi jahrelang fleissig geübt hat (bzw. ein „Meister“) sofort, ob jemand eine „Form“ bloß „mechanisch“ oder tatsächlich mit „inneren Einsatz“ vollzieht.
Dies hat weder etwas mit „Magie“ oder „Esoterik“ zu tun, sondern liegt höchstwahrscheinlich darin begründet, dass jeder Mensch „nonverbal“ bis zu 5.000 Signale pro Minute sendet (so konnte ich einmal lesen), welche von „Meistern“ und sehr geübten Tai Chi – Praktizierenden aufgrund ihrer Erfahrungen diesbezüglich wahrscheinlich „besser interpretiert“ werden können als von anderen Menschen.
Kurz gesagt: So jemand „merkt“ ganz einfach, ob eine „Form“ mit entsprechender „innerer Haltung“ (Also „geistig“: mental, konzentriert, kontemplativ, Imaginationskomponenten, bzw. „seelisch“: mit „Fühlen“ und „Gefühl“, „Stimmung“ – an den vorgegebenen „Stellen“!) entsprechend ausgeführt wird – oder bloß „körperlich durchlaufen“ wird.
Die „Beherrschung einer Form“ setzt also voraus, dass jemand sowohl „äußere“ als auch „innere“ Bestandteile der Übung meistert.
Abgesehen davon:
Wie bereits im vorangegangen Artikel „Irrtum 11: Jede Tai Chi Form ist gleich“ behandelt, gibt es weder „eine Form“, geschweige denn „einen Stil“ oder „eine Art“, sondern eine Vielzahl unterschiedlichster Abläufe und Übungssysteme.
Jede dieser „Formen“ hat ihre Berechtigung und auch ihren Nutzen, selbst wenn dies ausschließlich unter persönlichen Präferenzen betrachtet wird.
Um erneut den Vergleich mit dem Erlernen des Autofahrens zu bemühen:
Ein Kurs oder das Erlernen einer bestimmten Form kann dabei mit dem Führerscheinkurs und den Übungsfahrten verglichen werden. Der am Ende der Übungsstunden und nach erfolgreicher Prüfung erhaltene Führerschein – somit: „die Kenntnis der jeweiligen Form“ – ermöglicht dem „frisch gebackenen Führerscheinbesitzer“ nun „in Eigenregie“ weitere Erfahrungen zu sammeln und „das Fahren“ tatsächlich – irgendwann einmal (früher oder später) – „beherrschen“ zu können.
Der Tai Chi Gung – Landessportverein ermöglicht mit seinem Einsteigertraining sowohl den Einstieg in „die Welt des Tai Chi (Chuan)“ als auch den „Umstieg“ von anderen bereits bekannten Tai Chi-Formen in das regelmäßige Vereinstraining (sozusagen: „nach unserer Art“), egal wie weit die ursprüngliche „Führerscheinprüfung für Tai Chi“ bereits in der Vergangenheit liegt.
Mehr auf den Vereinsseiten unter: www.tai-chi-gung.at