100 Meistersprüche zu Tai Chi – Aussage 74
[Lesezeit: 3-5min (ohne Querverweise) – Querverweise: 12 – Checker-Zeit: 1-2 Jahre Tai Chi-Training (Schätzwerte)]
Meisterspruch 074:
„Den Zustand des Shen Ming erreichen und Handeln: Durch abgeklärtes Erinnern und gründliche Überprüfung erreichst du allmählich den Zustand, in dem du deinem eigenen Geist folgen kannst. Hier kommt es hauptsächlich darauf an, sich selbst zu überwinden und anderen folgen zu können. [Aktion erfolgt dann durch:] yin werden, um yang auszulösen und wieder zu yin zurückkehren.“
Eine →Transskription aus den →Taichi-Klassikern.
Hintergrundinfo:
Dieser Text aus den Taichi-Klassikern der saltshop-manuals beinhaltet drei essentielle Punkte.
Erstens
„Shen ming“ der „Diamantklare Geist“ (s.d.a. Glossareintrag: →shen ming) und wie man diesen „Bewusstseinszustand“ (bspw. im Training) einleiten kann.
Zweitens
Wie man sich vom „egozentrischen“ (Welt-)Sicht-Standpunkt lösen kann und die Wahrnehmung „nach außen“ richtet.
Drittens
Wie man sich schließlich „in Aktion“, in der Handlung, beim Handeln, ebenso selbstverständlich beim Training des Tai Chi, bzw. einer →Form und natürlich auch: In einer Kampfsituation, verhält.
Nur in der Verfassung innerer Ruhe, bin ich der Lage die aktuelle Situation „Innen“ wie „Aussen“ wahrzunehmen. Dann kann ich „hören“ und „hinhören“. Ist der eigene Geist voller Spannung oder Angst und im Kampf beispielsweise zu sehr auf Selbstschutz und Abwehr des Gegners gerichtet, dann „trübt“ dies die Wahrnehmung der aktuellen Situation, als auch die Wahrnehmung des Gegners, bzw. seiner Handlungen, sowie auch das Erkennen des gesamten Umfeldes.
Erst sobald dies „überwunden“ ist, habe ich die Chance „dem anderen zu folgen“.
Eine Aktion erfolgt dann erst mit „Yi-chi-chin“ (erläutert an →anderer Stelle), genau mit dem „Grundprinzip“ des Tai Chi (Chuan): „→yin werden, um →yang auszulösen und wieder zu yin zurückzukehren“ – aber nur mit: „Beweg dich nicht, solange der Gegner sich nicht bewegt, bewegt sich der Gegner, so komme ihm zuvor.“
Nimmt man jetzt auch noch „Sei wie Wasser“ (siehe dazu auch: →Meisterspruch 073) dazu, dann landet man exakt bei dem Verhalten einer Katze, als besten Vergleich für „gelebtes Tai Chi“:
Erhöhte Wachsamkeit, Sensibilität, Beweglichkeit und Leichtigkeit, gepaart mit einem bewussten, sparsamen Umgang mit Energie.
Eine Katze liefert die besten Beispiele dazu, welche wir hier gerne darstellen.
– Eine Katze im Energiesparmodus
Viele haben sicher schon beobachtet, das eine schlafende Katze – meistens handelt es sich aber eher um einen „Standby-Energiesparmodus“ als Schlafen – blitzschnell hellwach ist, wenn beispielsweise ein Maus vorbeiläuft.
– Katze beherrscht „yin-yang“
Eine Katze kann im Sprung das zehnfache ihrer Körperhöhe erreichen. Die gelingt zum großen Teil dadurch, dass alle Muskeln und Sehnen entspannt sind und sie dadurch leicht und beweglich wird, sie innerhalb eines Sekundebruchteiles anspannt und sofort wieder loslässt. „yin werden, um yang auszulösen und wieder in yin zurückkehren“.
– Katze beherrscht „Yi“
Die Katze macht von „Yi“ der „Bewegungsabsicht“ Gebrauch. Man braucht nur einmal auf die Augen einer Katze zu achten, bevor sie losspringt. Es erscheint so, dass die Augen die Absicht schon vorher ins Ziel bringen.
– Katze beherrscht „Tai Chi Prinzipien“
Viele gute Tai Chi – Bewegungen lassen sich an einer Katze bei der Mäusejagd beobachten.
Sie kann „stundenlang“ entspannt und ohne Bewegung vor einem Mausloch sitzen
(„Energiesparmodus“).
Sobald sie die Maus erblickt, sinkt sie zuerst tief in die Beine hinein und senkt den Schwerpunkt extrem ab. Dann verharrt sie still und unbewegt, wobei sie von außen beobachtet völlig entspannt scheint. Schließlich weiten sich ihre Augen und der Blick richtet sich konzentriert auf die Maus. Die Augen bringen die geistige Verfassung zum Ausdruck, sie liegt geduldig auf der Lauer. Wenn die Maus sich nicht bewegt, bewegt sich auch die Katze nicht. Wendet die Maus sich jedoch zur Flucht, schlägt die Katze blitzschnell zu, indem sie der Maus den Weg abschneidet und sie fängt.
– Katze übt „Sei wie Wasser“: „Wasser passt sich jedem Gefäß an“
– Katze übt „Sei wie Wasser“: „Wasser fließt über jeden Untergrund“
– Katze übt „Sei wie Wasser“: „Wasser dringt in die kleinste Ritze ein“
Wasser kann in die kleinste Ritze eindringen – eine Katze kann in jedes Loch, jede Öffnung, solange der Kopf (genauer gesagt: die Schädelknochen) durchpassen. Hilfreich ist dabei auch, dass bei einer Katze die Gliedmaßen quasi direkt mit der Wirbelsäule verbunden sind und nicht wie beispielsweise beim Menschen die Arme via „Schulterapparatur“ oder Beine via „Hüftapparatur“. Die Katze kann daher alle Extremitäten eng anlegen und „sich schmal machen“ – nur der Kopf kann nicht „verkleinert“ werden.
– Katze „ist wie Wasser“:
Wasser kann ruhig in einem Bergsee sein, bis es herabstürzt, dann…
Anmerkung:
In den →Ba Gua steht der Tiger (= Großkatze) als Allegorie für Wasser.
Beispielswiese das →Bild: „Den Tiger zum Berg tragen“ („Wasser“ ⇒ „Berg“).
Bildquellen: Fotos von →Irene-Katrin Hollaus. Mit freundlicher Genehmigung für den Tai Chi Gung – Landessportverein Salzburg.