Irrtum 4: Langsames Training bringt keine Kraft

(aus der Serie: Irrtümer über Tai Chi , erstmals erschienen auf mein.salzburg.com am 22. Feb 2010 um 11:08 in Fitness)

Jeder Sportwissenschafter wird ziemlich sicher bestätigen:
Eigentlich ist genau das Gegenteil der Fall.

Selbst Fitness-Studios und Body-Building haben zwischenzeitlich „den Trainingseffekt des Langsamen“ entdeckt.

Die Erklärungen hierfür beziehen sich z.B. auf „schnelle“ und „langsame“ Muskelfasern, benannt nach der Geschwindigkeit, mit der sie reagieren. Diese Muskelfasern (-Zellen) werden mit unterschiedlichen Brennstoffen versorgt. Die schnellen Fasern, auch weiße Fasern genannt, werden besonders stark vom Blut mit Sauerstoff versorgt. Der Blutsauerstoff ist natürlich sofort verfügbar, aber man nimmt an, weil die Muskeln bei der Kontraktion anschwellen drücken diese zugleich die feinen Adern zu, die sie mit Sauerstoff versorgen, womit der Nachschub also sehr schnell ausbleibt. Deshalb seien diese schnellen, kräftigen Fasern nur für kurze, kräftige Bewegungen zu gebrauchen.

Die roten Muskelfasern (die „langsam reagierenden“) werden dagegen weniger mit Blutsauerstoff betrieben, als vielmehr mit „gehortetem Brennmaterial“. Weil dieses aber erst für die Verbrennung umgebaut werden muss, sind diese Fasern etwas langsamer, können aber sehr viel länger „genutzt“ werden. Die verschiedenen „Verbrennungsmotoren“ der Zellen sind im Mikroskop unterschiedlich gefärbt, daher die Namen.

Bis dato unterschied die Sportwissenschaft Menschentypen, welche im Training körperlich eher auf „Schnellkraft-Training“ oder ein „Ausdauer-Training“ ansprechen und begründete dies mit dem „Vorhandensein“ vermehrter Muskelzellen der einen oder „Präferenzierung“ der Muskelzellen der anderen Art.

Zwischenzeitlich ist der Sportmedizin aber auch bekannt, dass sich sogar die Muskelfasern (Zellen) von einer Art, also „schnelle Muskeln“, in die andere Art, „langsame Muskeln“, – und umgekehrt – „verwandeln“ können.

Wie dies zustande kommt, scheint nach wie vor ein Rätsel und ist Gegenstand zahlreicher Untersuchungen
(Anm.: der menschliche Organismus scheint viel wandlungsfähiger und „anpassbarer“ als manche Menschen – darunter auch Wissenschafter – glauben mögen).

Andere sehr gute Erklärungen lieferte schon Moshé Feldenkrais (1904-1984) in den Ausführungen zu seiner Arbeit und Anwendung der unter seinem Namen bekannt gewordenen Feldenkrais-Methode, welche vor allem im Rehabilitationsbereich unter klinischer Anwendung bewährt hat. Anhand jener Übungen sollte der Ausübende mehr über seinen eigenen Körper und seine Bewegungsmuster erfahren.

Kurzes Fazit zu diesem Thema: Wird der Körper und seine Bewegungsmöglichkeit „bewusster“ eingesetzt, dann ermöglicht dies gesteigerte bzw. effizientere „Kräftewirkung“.

Die dritte von mir angesprochene Erklärung bezieht sich auf den (äußeren) Kampfsport: sehr oft wird hierbei von Lernenden die „Impulswirkung“ (Vektorgröße: Impulskraft = Masse x Beschleunigung), also die „Schlagkraft“ mit der „Muskelkraft“ des Trainierenden verwechselt. – Nun gut: natürlich bringen „Muskel“ auch Masse, aber ohne „Beschleunigung“ bringt das rein gar nichts. Die „Beschleunigung“ bedingt in der körperlichen Bewegung aber eine Präzision, da ansonsten „die Wege“ (der Vektor) nicht optimal genutzt werden können (kann).

Und hier kommt wiederum „die Langsamkeit“ im Training zum tragen.

Ein Beispiel: Je schneller man eine Übung ausführt und desto mehr Schwung man dabei nutzt, desto leichter wird diese.

Durch die schnellen Bewegungen, wird meist sogar der Weg den man bei einer Übung durchführen sollte verkürzt. Anstatt bei Liegestützen die Arme wirklich zu strecken und zu beugen, führt so jemand nur dreiviertel der Bewegung aus und schafft natürlich auch mehr Wiederholungen. Ein weiterer Grund dafür, dass „schnell machen“ einfacher ist, liegt darin, dass die Muskulatur nicht so schnell ermüdet, weil der Betreffende ja weniger Zeit für eine Übung benötigt.

Tipp: Wer sein Training einmal intensiver gestalten möchte, sollte einfach einmal ausprobieren alle(!) Übungen in Zeitlupe auszuführen.

Je langsamer und technisch korrekter eine Übung ausgeführt wird, desto schwieriger wird sie!

Gerade beim Lernen von komplexen, für den Durchschnittsmenschen völlig fremden Tai Chi Gung – Bewegungen wird Wert darauf gelegt, diese möglichst langsam auszuführen. Zu leicht läßt man sich dazu verleiten, mit Schnelligkeit darüber hinwegzutäuschen, dass die Bewegung nicht exakt ausgeführt wird.

Als Beispiel noch für Kampfsportler: Seitwärts- oder Fersenkick „in Zeitlupe“ – natürlich mit(!) korrektem Ansatz, Endposition des „Schlages“ und(!) wieder „Aufsetzen“ – ohne „stottern“ oder „haken“ in der gesamten Bewegung (Ausprobieren! – Freue mich über Rückmeldungen, wer möchte!).

Meist denkt der Übende, wenn etwas schnell gemacht wird: vielleicht merkt es ja der Trainer nicht.
Doch mit Sicherheit merkt es unser Nervensystem, nämlich: dass hier wichtige Informationen fehlen. Denn: Um bewusst selbst Bewegungen wahrzunehmen, braucht der Mensch eine gewisse Langsamkeit gepaart mit Leichtigkeit, denn auch jede Anstrengung steht dem bewussten Erkennen eines Ablaufs entgegen. Somit kommen wir hier wieder zu den Ergebnissen von Feldenkrais, wie eingangs erwähnt (Anm.: der Aspekt der Schnelligkeit durch Langsamkeit wird noch in Folge erläutert werden).

Wer die Effekte „der Langsamkeit“ und der daraus resultierenden Kraft selbst näher kennenlernen möchte, oder auch eine ideale Ergänzung zu seinem Kampfsporttraining sucht – probiert es einfach einmal mit Tai Chi Gung!

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Eine Antwort zu Irrtum 4: Langsames Training bringt keine Kraft

  1. Liqing sagt:

    Dieser Artikel ist ganz hervorragend und informativ. Werde ihn in einem Link weiterempfehlen.

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