Glossareintrag: Geschichte des Tai Chi Chuan
Anmerkung: Tai Chi oder Taiji dient sehr häufig als Kurzform für „Tai Chi Chuan“, bzw. andere Schreibweise „Taiji Quan“.
Über den Ursprung der chinesischen Bewegungskunst – wir vom Tai Chi Gung – Landessportverein in Salzburg sagen meist: die „innere Kampfkunst“ aus China dazu – findet man viele Mythen und Fabeln.
Manche dieser Geschichten sind sehr phantasievoll und oft sehr amüsant zu lesen, wenngleich kaum eine Überlieferung des Ursprungs tatsächlich bewiesen werden kann.
Vorab
Ganz wichtig hierbei ist es, sich immer im Hinterkopf zu behalten, dass viele Überlieferungen der (strengen) Tradition der verschiedenen Familien-Clans entspringen und demzufolge natürlich auch deren Ansichten (Weltanschauung) einschließlich Familienstolzes auf jeweilige „Gründerväter“, sowie von der Bereitschaft abhängen, (Familien-)Erkenntnisse – sogenannte „Geheimnisse“ – überhaupt mit Fremden (Aussenstehenden) zu teilen.
So wird dementsprechend, je nach Schule (also: →Stil), eine andere Entstehungsgeschichte bevorzugt und manchmal findet man in aktuellen zeitgenössischen Veröffentlichungen (Büchern, Beschreibungen) sogar Verunglimpfungen von „Gründungsgeschichten“ anderer Stile – eben damit für chinesisches Empfinden: konkurrierender Schulen.
Ungeachtet dessen, kann der ernsthaft Studierende aus jeder Quelle für sich Erkenntnisse gewinnen, daher sollten diese Tai Chi-Mythen geschätzt werden, aber nicht notwendigerweise deren Wahrheitsgehalt als geschichtliche Tatsache.
In der von Mai – Juli 2009 im Blog der Salzburger Nachrichten geposteten 15-teiligen Aufklärungsserie über Tai Chi wurde bereits auf die unterschiedlichen, bekannten, Tai Chi – Stile und Familien eingegangen:
- Aufklärungsserie: Das ist Tai Chi Gung – Teil 8/15, 3. Stile, Schulen und Meister,
Link: →Sprung zu Bogeintrag Teil 8/15 - Aufklärungsserie: Das ist Tai Chi Gung – Teil 10/15, Die Geschichte(n) der Entstehung, Link: →Sprung zu Blogeintrag Teil 10/15
bzw. - Aufklärungsserie: Das ist Tai Chi Gung – Teil 11/15, Betrachtung der bekanntesten Tai Chi Stile. (Teil 1 von 3) bis Teil 13/15 (Teil 3 von 3)
Link: →Sprung zu Blogeintrag Teil 11/15
Link: →Sprung zu Blogeintrag Teil 12/15
Link: →Sprung zu Blogeintrag Teil 13/15
Tatsächlich
lassen sich die ersten Aufzeichnungen mit der erstmaligen Erwähnung des Namens „Tai Chi Chuan“ (→Wade-Giles: T’ai C’hi Chuan, →Pinyin: Taijiquan oder Taiji Quan) frühestens nach 1800 n. C. finden. Und natürlich: Daraus (Familien-)Stammbäume ableiten und aufzeichnen.
Frühere „Herleitungen“ sind nirgendwo beweisbar und bleiben leider – streng wissenschaftlich gesehen: Reine Vermutungen.
Nicht von der Hand zu weisen lassen sich jedoch eindeutige Zuordnungen des Praktikums und der Philosophie (ungeachtet verschiedener Schulen!) zu Begriffen wie:
Alle drei Begriffe (TAI CHI, yin und yang) finden ihre erste (aufgezeichnete) Erwähnung im sogenannten „Buch der Wandlungen“, dem „→I Ging„.
Das I Ging gilt zwar nicht als das älteste chinesische Dokument, aber dessen Alter wird mindestens auf fünftausend Jahre geschätzt.
Bei diesem Buch handelt es sich heutzutage konkret nicht nur um ein(!) Buch, sondern es sind drei Bücher: Buch 1 gilt als „Original“, Buch 2 beinhaltet eine Sammlung von Kommentaren, welche sich (meist) der Schule des Konfuzius zuordnen lassen, sowie Buch 3, welches einer Art Glossar oder Sammlung von Zitaten, sowie ebenfalls Kommentaren, unterschiedlichster Autoren handelt, deren Namen nicht erhalten geblieben sind, welche Teils taoistischem, teils konfuzianischen Gedankengut entspringen.
Es wurde also im Laufe der Zeit(en) Buch 2 und Buch 3 hinzugefügt (und wahrscheinlich geschehen weitere „Hinzufügungen“ nicht nur im Rahmen der Übertragung – vom Chinesischen ins Englische oder Deutsche oder sonst eine andere Sprache, sondern auch durch eine Unzahl von I Ging-Kundigen, welche auch heute noch in der chinesischen Kultur – und nicht nur in China – zu finden sind).
Das „Originalbuch“, also der Urtext entspricht also Buch 1.
Anmerkung:
Sowohl der →Taoismus (→Lao Tse) als auch der Konfuzianismus (Konfuzius) entstanden weit später als dieser Urtext (Buch 1)!
Und in genau jenem „Teil“ des I Ging finden sich alle Ausführungen zu TAI CHI, sowie dem unteilbaren Gegensatzpaar von yin und yang, welche GENAU SO in den Überlieferungen, sowie in der konkreten Praxis des Tai Chi Chuan seine Anwendung finden – bis zum heutigen Tage.
Damit lässt sich der Schluss ziehen: Tai Chi (Chuan) entspringt dem Denken und der Philosophie des I Ging, womit wiederum gleichzeitig gesagt ist: Tai Chi (Chuan) ist uralt und wer genau erstmals die Anleitungen des I Ging in konkrete Bewegungen des Körpers und die „innere Kampfkunst“ umgesetzt hat, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen.
Wichtig:
Den chinesischen Familien (Stilen) gilt jedenfalls der Dank heutiger Generationen, dass sie jenes Wissen – so gut wie möglich – in unsere Zeit „herübergerettet“ haben, ungeachtet dessen, ob sie uns westlichen Menschen (jemals) alles sagen werden oder ob sie auch selbst alles (je richtig) verstanden haben/hatten.
Es ist so:
Kein Chinese beherrscht automatisch Tai Chi (Chuan), genausowenig wie jeder Österreicher automatisch Schilehrer ist.
Verständlicherweise ist (war?) einem Chinesen jene Philosophie näher, genauso wie „uns“ die Alpen näher sind und Schilaufen daher leichter möglich wäre.
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Guter Blog, gefaellt mir sehr gut. Auch tolle Themen.