(aus der Serie: Irrtümer über Tai Chi, erstmals erschienen auf mein.salzburg.com am 17. Feb 2010 um 11:21 in Fitness )
Falsch: Tai Chi (Chuan) ist kein Yoga.
Wobei ich ehrlich gestehen muss, dass ich vor ca. 16 Jahren auch noch der Meinung war, dass es sich bei Tai Chi auch nur(!) um eine chinesische Variante des aus Indien stammenden Yoga handeln würde.
Ich hatte mich gründlich geirrt – es ist etwas ganz anderes!
Natürlich, im weitesten Sinne „gleicht“ in gewisser Weise für „Aussenstehende“ die Praxis von Tai Chi auf den ersten Blick ein wenig dem indischen Yoga (vor allem, wenn man mit den Übungen des Hatha-Yoga mit seinen Asanas [=Körperstellungen] oder dem sogenannten Pranayama vergleicht). Aber das war es dann auch schon. Das Praktizieren von Tai Chi (Chuan) fußt auf andere Prinzipien, einen anderen Ursprung („yin-yang-Theorie“, Taoismus, …) und einer anderen Kultur und Entwicklung.
Verallgemeinert, ich weiß, dennoch bin ich persönlich auch der Meinung, dass – die am weitest verbreiteten Lehren beider Systeme, also des „Yoga“ und des „Tai Chi“, wenn man will – sich grundlegend in der „Herangehensweise zur menschlichen Weiterentwicklung“ unterscheiden:
Die indische(n) Lehre(n) ordnen (meist) dem Körper einen „niederen“ Wert zu, welcher über den Geist („höherer Wert“) „zu beherrschen“ wäre (Beispiel für Extreme dafür wären alle exzessiven Selbstkasteiungen indischer Yogis: Nahrungsentzug, Schmerzunterdrückung etc. – von welchen nach ausreichender Selbsterfahrung sich ja auch Gaudama Buddha abgewandt haben sollte).
Die Tai Chi – Lehren führen jedoch von – sagen wir einmal – Erkennen, Erfahren, „Inbesitznahme“ und „Verstehen“ des eigenen Körpers zur Erfahrung und „Nutzung“ des menschlichen Geistes, wobei für den Menschen beides, Körper und Geist (natürlich auch Seele), als „gleichwertig“ angesehen wird. „Eines könnte ohne das andere – auf ‚der Welt‘ – nicht existieren“.
Doch genug davon philosophiert.
Vergleicht man den (körperlichen) Übungsablauf zwischen Hatha-Yoga und Tai Chi (Chuan), so erkennt man, dass es „im Yoga“ um die Erreichung und „das Halten“ eines gewissen Zustandes (Körperstellung) über einen gewissen Zeitraum geht.
Grob: Stellung einnehmen – „Halten“ (Meditieren) – Ausklang.
Oder: Die Übungen bieten einen „Ausstieg“ aus „normalem“ Alltag (Motto: „Abschalten“, „Aussteigen“, Abwechslung – in etwa: „Überwindung des ‚profanen‘ Lebens, sich davon differenzieren und Abstand gewinnen“; „Erkenne: Die Welt ist im Grunde eine Illussion, mach‘ Dich frei!“).
Im Tai Chi (Chuan) geht es „um Fluss“, um Bewegung und um das „im Fließen bleiben“ – es soll während der Ausübung idealerweise niemals ein Stillstand (ein „Halten“) stattfinden – bzw. ein ständiger „Wechsel“ zwischen „Ruhe“ und „Bewegung“.
Oder: Die Bewegungen und Übungen sollen nicht nur zum „täglichen Begleiter“ im „normalen“ Leben werden, sondern tatsächlich „gelebt“ werden (Motto: „Integrieren“, „Einbinden“, …, Vertiefen – in etwa: „Meisterung des ‚profanen‘ Lebens und dadurch Qualität und Intensität des Lebens steigern“; „Bedenke: Die erkennbare Welt ist im Grunde eine Illussion, lebe dementsprechend darin solange Du Dich in ihr befindest!“).
Ein Übungsablauf bei Tai Chi („die Form“) mag zwar „außerhalb“ normaler Betätigung des Menschen gelten, aber die erlernten Bewegungen „bleiben“ im Alltag aufrecht (z.B.: der Gang, der Stand, die Körperhaltung, oder der Einsatz der Hände und Arme – z.B. bei der Bewegung von Gegenständen: schieben, aufheben, öffnen und tragen; usw.).
Yoga-Stellungen hingegen können nicht unbedingt im Alltag angewandt werden, sondern „existieren“ separat davon.
Beide (Übungs-)Systeme können selbstverständlich auch „nur zur Gesundheit“ praktiziert werden, …aber umfassen eigentlich mehr.
In Tai Chi (Chuan) werden darüber hinaus generell jeder Ausführung mehreren Aspekten (des Lebens) genüge getan: Gesundheit, Gefühle (Seele), Körper, Geist (mental und spirituell), dem Alltag, …, der Meditation, der Konzentration, der Kontemplation, …, der Entspannung UND dem Kampf.
Und selbstverständlich gibt es bei beiden „wahre“ Meister, genauso wie „Dampfplauderer“.
Bitte nicht falsch verstehen: ich bewundere alle die Yoga (ernsthaft) betreiben, ebenso wie jede andere „Körperkunst“ – „Resp for all of them“. Und nicht vergessen: Über Geschmack lässt sich bekanntermaßen trefflich streiten.