Hatten Sie auch schon eine „unheimliche Begegnung der Dritten Art“ in einem Salzburger Park?
Wenn wir im Freien trainieren, dann beobachten uns manche Passanten genau so, wie es vor hundert Jahren westlichen Besuchern in China ergangen sein muß: „Was machen die da bloß?“.
Ab und zu erhasche ich Kommentare von der Ferne: „Yoga? – Nein, das ist was anderes!“ – „Für Kampfsport is des zu longsom“ – „I glaub‘, des is Qi Gong, oder so!“.
– Fast richtig, aber doch knapp daneben!
Was sind das also für Bewegungen, die man in Tai Chi Gung macht?
Als erstes machen wir Einzelübungen (manches dem Qi Gong entlehnt) zum „Aufwärmen“ – besser gesagt, zum Lockern bestimmter Körperpartien. Im Tai Chi ist es wichtig, dass die Beine einen „festen Stand“ haben und der Oberkörper von der Taille aufwärts „locker und geschmeidig“ ist.
Gerade für Anfänger (Einsteiger) sind diese Vorbereitungsübungen ein immens wichtiger Trainingsbestandteil, damit die Beine kräftig werden und damit das eigene Körpergewicht problemlos auch auf einem einzelnen, gebeugten Bein getragen werden kann und das Gleichgewicht unverändert beibehalten wird – „ohne wackeln“. Darüber hinaus lernt man einzelne Muskelpartien (z.B. Hals-, Schulter-, Bauchbereich) gezielt zu entspannen und „Verkrampfungen“ zu erkennen und zu lösen.
In der so genannten „Grundschule“ widmen wir uns dann Grundstellungen, Grundpositionen, Einzelbewegungen, Grundtechniken und „Bildern“ (die in Tai Chi Gung so definierten „Figuren“ der Bewegungsabläufe, größtenteils könnten diese als überlieferte, „klassische“ Tai Chi Chuan-Abfolgen bezeichnet werden).
In der so genannten Solo-Form (oft auch nur: „die Form“), werden verschiedene Bilder schließlich durch Überleitungsbewegungen (Varianten der Grundstellungen und Grundpositionen, Einzelbewegungen) miteinander zu einem harmonischen Gesamtablauf verbunden.
Diese „Form“ soll von einer Anfangsposition (zB. Haltung „wu chi“) bis zu einer Endposition (Abschluss „wu wei“ – das „Nicht-Handeln“) vollständig und ohne Unterbrechung „durchlaufen“ und ausgeführt werden können.
Exkurs:
Diese Übungsfolge (die Form) ähnelt in gewisser Weise der in der äußeren Kampfkunst z.B. in Japan trainierten Praxis im Shotokan Karate: „der Kata“. Dort werden dessen Grundtechniken (Schlag-, Stoß- und Tritt-Techniken) ebenfalls zweckmäßig an- und nacheinandergereiht und gemeinsam in einem Durchlauf als „Kata“ trainiert.
An anderer Stelle wurde bereits erläutert, dass „die Form“ und „Stile“ in Tai Chi Chuan sehr stark von Familienclans geprägt und unterschiedlichst überliefert wurden, bzw. werden.
Soweit zur generellen Erklärung, was in einer Trainingseinheit gemacht wird –
Aber:
Wozu und warum macht man in Tai Chi Gung genau diese für Laien „eigenartig“ erscheinenden Bewegungen?
Bleiben wir kurz bei Karate. Jedem wird einleuchten, wozu eine Grundtechnik in Karate, beispielsweise ein gerader Fauststoß (bezeichnet als „Oi-Tsuki“) dienen soll: den Gegner (den Angreifer) möglichst rasch, präzise und sehr hart mit der Faust zu treffen. Dies übt man hierbei solange – also auch: ständig! – , um das Ideal des Karate-Kampfes zu erreichen: Bei einem Angriff den Gegner so rasch wie möglich und am besten nur durch Einsatz von einer einzigen Technik (z.B. diesem Faustschlag) ausser Gefecht zu setzen (d.h. den Angriff so „abwehren“, dass dieser nicht fortgesetzt werden kann).
Exkurs:
Damit kein falsches Bild entsteht: auch wenn der Laie jetzt denken mag, dass das Üben eines Fauststosses ja wohl nicht so schwer sein kann, erinnere ich daran, dass Karate zwar erst im 20. Jahrhundert seinen Weg in Japan gefunden hat, dennoch zu den Kampf-Künsten gezählt wird. Will heissen: ein „Fauststoß“ wird keineswegs als „simpler“ Stoß mit irgendwie geballter Faust und irgendwie, irgendwo stehend (wie bei einer „Schlägerei“) gezeigt und angewendet, sondern entspringt ebenso den Erfahrungen, Übungen, Analysen und Ansichten jahrzehntelang trainierter „Profis“ („Meister“).Das heisst auch bei diesem („simplen“) Fauststoß wird ebenfalls beachtet und trainiert: Wie ist die Körperhaltung, die Fuß- und Beinstellung? Wo liegt der Schwerpunkt? Wie werden die Schultern ausgerichtet? Wie halte ich die Finger, den Arm? Was spanne ich wo an? Wie wird der Arm und die Faust geführt? Welche Einzelbewegungen führen von der Anfangsposition zur Endposition? Wie atme ich? … Wie erhalte ich die größte Impulsübertragung, beim Auftreffen der Faust? usw. usf.
Und ebenfalls wird auch in dieser Kampfkunst „die geistige Einstellung“ geschult. Sagen wir: „gute“ Schulen werden dies tun, um zumindest das Verantwortungsbewusstsein dafür zu erzeugen, dass auch „der Körper als Waffe“ niemals „zum Spass“ eingesetzt wird – vor allen Dingen dann nicht, wenn dieser durch die Kampfkunst-Schulung „zur Präzision erzogen und trainiert“ wurde.
Nun haben wir erfahren, dass auch Karate-Bewegungen – so einfach manche auch erscheinen mögen – durchaus „mehr“ beinhalten, als dies einem Aussenstehenden gleich ersichtlich wird. Dennoch dienen diese nur einem Zweck: dem Kampf.
Womit wir nun leichter bei Tai Chi Chuan – Bewegungen fortsetzen können, denn diese dienen prinzipiell mehreren Zwecken.
Die Bewegungen können am besten mit dem Wort „ganzheitlich“ beschrieben werden, weil diese sowohl Geist und Seele, als auch den Körper (die Materie) betreffen.
Einen Hinweis darauf finden wir auch in der historischen Überlieferung: ein Mönch soll Tai Chi (Chuan) vor Jahrhunderten als „Kombinationstraining“ von den chinesischen Kampfkünsten und den gesundheitsfördernden bzw. -erhaltendenden Techniken der Traditionellen Chinesischen Medizin, dem „Ch’i kung“ (heute unter „Qi Gong“ bekannt) „erfunden“ haben.
Bitte nicht verwechseln: Natürlich kann das Trainieren jeder Bewegungssportart im Normalfall als „gesund“ angesehen werden. Hiermit ist aber tatsächlich gemeint, dass jede einzelne Bewegung bzw. Bewegungsfolge in Tai Chi einen ganz speziellen „gesundheits-“ bzw. „vitalitätsfördernden“ Aspekt „in sich“ trägt.
Dies ist auch, was mich selbst an Tai Chi Gung so fasziniert: jede Bewegung hat nicht nur einen(!) bestimmten Sinn und Zweck, sondern mehrere [Anm.: …und entspricht somit ebenfalls der chinesischen Mentalität der „Mehrdeutigkeit“].
Als Beispiel: eine durchaus mit dem Kampfsport vergleichbare (und ebenso anwendbare!) Abwehr-Bewegung dient eben nicht nur in einem Kampf der Abwehr, sondern beinhaltet zugleich(!) eine bestimmte Stärkung/Lenkung/Steigerung der „Vitalität“ (des „Chi“, „Qi“) in bestimmten Körperregionen (Beinen, Brust, Arme, Hände, …, Sehnen, Muskeln, etc.) und ermöglicht die „Kontemplation“ des Geistes (der Seele) in eine bestimmte Richtung oder Qualität UND folgt dabei den „Gesetzmäßigkeiten von yin und yang“ (Simpel gesagt: das Wechselspiel zwischen „Schwer“ und „Leicht“, „Voll“ und „Leer“, bzw. „angespannt“ und „entspannt, usw.).
Dies genau zu erklären, würde hier nicht nur den Rahmen des Beitrags sprengen, sondern ist genau die Problemstellung in der Praxis. Ein Anfänger in Tai Chi kann zwar über die Physis (Erlernen der Stellungen, Abläufe … Grundstellungen, -positionen, Bilder, Form – s.o.) und durch „Spüren“ der Veränderungen, nach und nach in geistige und seelische Aspekte („Meditation“) geleitet werden, aber erst durch die eigene Praxis „versteht“ dieser nach und nach, im Laufe der Zeit, warum bestimmte Haltungen, Stellungen und Bewegungen, wie er diese gezeigt bekommen und gelernt hat, „genau so und nicht anders“, sein „müssen“.
Natürlich kann es sich ein Trainer oder Kursleiter leicht machen, indem er entweder gar nichts erklärt, sich nur vorne hinstellt und „die Leute machen“ lässt (die beste Ausrede ist hier: „Genau so wird in China trainiert“ – und der Interessierte muss selber schauen, wo er bleibt) oder er „beschränkt“ sich auf den reinen gesundheitlichen Aspekt. Aber im Grunde ist dies „kein“ Tai Chi (Chuan), sondern bestenfalls ein kleiner Anfang(!) und allenfalls „der erste Schritt“ zu dieser Bewegungskunst.
Im Training von Tai Chi Gung beachten und erläutern wir, soweit möglich und dem Zeitpunkt angemessen, jeden Aspekt der Trainingsform sowie jede Bedeutung einer Grundtechnik (Bewegung) und des Bildes (bzw. der Bilder, s.o.).
Die Grundtechniken können in ihrem Ursprung aus der chinesischen Kampfkunst verstanden werden und finden ihre Beschreibung in der Anwendung z.B. auch im Yang- oder Chen-Stil.
Die bekanntesten vier von acht sind hierbei: Abwehr („peng“) – Zurückziehen („liü“) – Drücken („ji“) und Stossen („an“).
Die „Bilder“ benötigen laut Definition von uns eine Beschreibung, welche
- den Namen,
- etwaige Alternative Bezeichnungen,
- die Chinesische Allegorie,
- eine Beschreibung des Ablaufes/die Durchführung,
- die dazugehörige Imagination (die „mentale Vorstellung“),
- ggf. Ablaufdarstellungen mit Fotos/Zeichnungen (Video) und
- Erläuterungen zur Ausführung,
- einschließlich „Überleitungsbewegungen“ (vom vorherigen Bild / zum nächsten Bild), beinhaltet.
Jede(!) Bewegung dient mehreren Zwecken (Aspekte von Tai Chi):
u.a. dem Kampf, der Gesundheit (dem „Chi-Fluss“, der Regeneration, Vitalität und Agilität), der Meditation (von der Konzentration zur Kontemplation – der geistigen Entwicklung und Vervollkommnung), sowie dem seelischen Gleichgewicht.
Manche Bewegungen lassen sich leichter dem einen Aspekt zuordnen, manche leichter dem anderen. – Und manchmal, obwohl eine Bezeichnung zwar den Kampfkunstaspekt hervorzuheben scheint, wie z.B. „Abwehr nach rechts“, mag sich der Laie sogar fragen, wie hiermit ein Angriff überhaupt abgewehrt werden kann.
Genau jene Fragen und die ebenfalls nicht so offensichtlichen Aspekte der Bewegungen, klären sich nach und nach, wenn im Training bzw. der Anleitung nicht nur auf die „rein technischen“ Abläufe sowie das exakte Nachvollziehen der vorgezeigten Bewegungen des Trainers geachtet wird (d.h. die Schulung der „leeren“ Form), sondern auch jede Form als „volle Form“ gelehrt wird.
Schließlich ergründet sich bspw. dem Schüler, dass das Bild „Den Vogelschwanz fassen“ (alternativ: „Den Sperling am Schwanz fassen“ u. ä.) aus den vier Grundtechniken („Abwehr“, „Zurückziehen“, „Drücken“ und „Stossen“) zusammengesetzt ist; in der Chinesischen Allegorie der „Spatz“ als Träger des Geistes (zur Geburt im menschlichen Körper) gilt und jener weder zu fest – damit dieser nicht erdrückt, noch zu leicht – damit jener nicht wieder entflieht, gefasst werden soll und später im Fortschritt des Trainings (vielleicht?), dann auch, dass „peng“ für „reines yang“ steht, „liü“ für „reines yin“ (einerseits „Himmel“ andererseits „Erde“) usw. und diese als „Konter“ für die jeweilige andere „Qualität“ dienen und eingesetzt werden können (sei es im Kampf, im Körper, der Bewegung, oder im Umgang mit der Umwelt und dem Umfeld).
Für den Kampfkunstinteressierten:
Selbstverständlich kann jede(!) Bewegung, welche tausendemale in Perfektion sozusagen „in Zeitlupe“ geübt wurde, bei Bedarf ebenso präzise auch „blitzschnell“ ausgeführt werden.
Aber, nochmals: Das Training von Tai Chi Gung dient eben nicht ausschließlich diesem Zweck.
Dem Gesundheits- und an (Lebens-)Harmonie Interessierten sei hiermit bewusst gemacht, dass die „Vollständigkeit“ unabdingbar auch den Aspekt des „Kampfes“ erfordert – die Frage ist weniger „ob“, vielmehr „wie“ man sich damit auseinandersetzt.
Wer sich näher mit Tai Chi Gung beschäftigen und diese Bewegungskunst in Salzburg erlernen möchte, kann jetzt noch an unserem gerade beginnenden Einsteigerkurs teilnehmen.
Die Trainingseinheit des Einsteigerkurses findet derzeit einmal wöchentlich, Dienstag abends, statt (insgesamt umfasst der Kurs 12 Trainingseinheiten) – mitmachen ist noch möglich.