(aus der Serie: Irrtümer über Tai Chi, erstmals erschienen auf mein.salzburg.com am 8. Mär 2010 um 10:26 in Fitness)
Tai Chi Chuan (nach →Wade-Giles) oder Taiji quan (nach →Pinyin-System Übertragung) ist eine in den Kaiserreichen Chinas entwickelte Körperkunst, welche „in sich“ mehrere Aspekte des Lebens (Wechsel der Belastungen – →yin und →yang, Wechsel des Ausdrucks – yin und yang, Wechsel des Atems – yin/yang, Wechsel der Situation, …, Krieg und Frieden, Kampf und Nachgiebigkeit, „Tun und Ruhe“, „Aktivität und Meditation“, usw.) – sowie natürlich auch der sogenannten „Lebenspflege“ (→Yangshen – heute besser bekannt unter den Namen: →Qi Gong bzw. Chi Kung – also: „Aufnahme und Wechsel der Energien“) beinhaltet.
In Ermangelung eines entsprechenden westlichen Begriffes und weil europäische Kolonialisten (vor allem Engländer) sich mit etwas völlig neuem konfrontiert sahen, was sie selbst einfach nicht „einordnen“ und „begreifen“ konnten, gab man dieser Bewegungskunst die westliche Bezeichnung „Schattenboxen“, da einige Bewegungen der Übungen der Menschen in China, welche man allerorten und nahezu zu jeder Tageszeit beobachten konnte, so aussahen, als würden jene Trainierenden unsichtbare Gegner („Schatten“) abwehren, stoßen, schlagen oder treten.
Leider verursacht aber genau jene Bezeichnung völlig falsche Assoziationen, denn der westliche Mensch kennt „Boxen“ in völlig anderem Zusammenhang und Verständnis – und: Tai Chi (Chuan) ist garantiert kein Boxsport!
Im Zuge der Kulturrevolution verbot Mao Zedong (bzw.: Mao Tsê-tung) in China die Ausübung von Qigong und die inneren Kampfkünste (z.B.: Wudang Tai Chi Kung Fu, Shaolin Kung Fu, etc.).
Er machte aber bei Tai Chi Chuan eine Ausnahme, indem er es zur Gymnastik erklärte.
Um ganz sicher zu gehen, dass Tai Chi Chuan auch nur als Gymnastik geübt wurde, wurde 1955/56 eine 108-Abfolgen-Form (des →Yang-Stiles) auf eine 24-Abfolgen-Form gekürzt, dokumentiert und veröffentlicht, welche letztendlich als so genannte „→Peking-Form“ weltweit bekannt wurde. Darum gilt die Peking-Form auch als „Regierungs-Form“ oder „offizielle Form“ (der damaligen chinesischen Regierung).
Erst in jüngster Zeit und mit der Öffnung Chinas zur übrigen Welt, besann man sich wieder seiner (inneren) Schätze, welches die (Wieder-)Öffnung der Zentren für (traditionelles) Tai Chi Chuan und andere innere Kampfkünste ermöglichte.
Dennoch wird selbst in jüngster Zeit auch in unserem Teil der Welt, Tai Chi Chuan (Taijiquan) als allgemeines System der Bewegungslehre oder „bloße“ Gymnastik betrachtet, welche der Gesundheit sehr förderlich ist. Manche erkennen noch den Aspekt der Persönlichkeitsentwicklung und vielleicht den Aspekt der Meditation, aber vielfach wird der Kampfkunstaspekt völlig ignoriert.
Leider bringen sich jene Menschen dabei (noch) um einen ebenso wesentlichen, wie gleichwertigen Aspekt: „Ganzheitlich“ wäre, wie der Begriff schon ausdrückt, wenn „das Ganze“ beinhaltet ist und zum Leben gehört nun auch einmal „Kampf“ – egal wie „zivilisiert“ oder „sublimiert“ dieser zutage tritt.
Anmerkung: „Ausblenden“ und „Weglassen“ hieße doch nichts anderes als „Verdrängen“, oder?
Jeder Mensch stellt sich auch „inneren Kämpfen“, welche gerade mit dieser Bewegungskunst als Allegorie ihren Ausdruck finden können, ohne (äußerlich) jemanden zu schaden.
In Tai Chi Gung ist es uns daher wichtig, alle Aspekte der traditionellen Körper-, Bewegungs- und sagen wir ruhig auch „Lebens-Kunst“ zu beachten und zu trainieren – stilunabhängig und für westliche Mentatiltät geeignet.