Serie: 100 Meistersprüche zu Tai Chi – Teil 073

100 Meistersprüche zu Tai Chi – Aussage 73

[Lesezeit: 5-10min (ohne Querverweise) – Querverweise: 18 – Checker-Zeit: 2-3 Jahre Tai Chi-Training (Schätzwerte)]

Meisterspruch 073:

„„„Schauen wir auf das Wasser, welches ‚weich‘ und nachgebend sein kann, mit gesteigerter Geschwindigkeit aber auch ‚knallhart‘ wird. Auch durch Beständigkeit erzielt das Wasser enorme Kräfte und glättet mit der Zeit selbst die härtesten Steine. Somit besiegt das Ausdauernde selbst dann das Härtere, wenn es mit einer enormen Beständigkeit zum Einsatz gelangt. Das Wasser ist dafür ein gutes Beispiel. Jeder sieht es in jedem Fluss, doch nur die wenigsten setzen diese Prinzipien für ihr eigenes Leben ein. Kaum einer setzt dieses Wissen um.“““““

Eine →Transskription nach →Lao Tse.


Hintergrundinfo:

Lao Tse oder Laozi ist ein legendärer chinesischer Philosoph, der im 6. Jahrhundert v. Chr. gelebt haben soll. Je nach Umschrift wird der Name auch Laotse, Lao-Tse, Laudse oder Lao-tzu geschrieben.

Lao Tse gilt als Begründer des Daoismus (→Taoismus). Das ihm in der Legende zugeschriebene Werk, welches erst durch den Han-Kaiser Jing (157–141 v. Chr.) als Dàodéjing (→Tao-Te-King, Tao Te Ching) gefasst und betitelt wurde, ist das Hauptwerk des Daoismus. Das Werk ist wahrscheinlich im 4. Jahrhundert v. Chr. entstanden.
Wobei ebenfalls wichtig ist: Werk UND Autor werden gleichgesetzt.

Trotz der sonst beeindruckenden Überlieferung minutiöser Chroniken und Listen von Herrschern, Beamten und anderen Würdenträgern des alten China ist über Lao Tse fast nichts bekannt. Die ältesten Quellen, die ihn erwähnen, sind Anekdoten und Legenden, darunter mehrere Geschichten über ihn in Zhuangzis (Dschuang Dsi, Chuang-tzu) „wahrem Buch vom südlichen Blütenland“. Die erste historische oder biographische Quelle findet sich im Shijì (Shi chi) des Sima Qian (Ssu-ma Ch’ien), den „Aufzeichnungen des Chronisten“ aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. Doch Sima Qian schreibt selbst, dass seine Quellenlage sehr unsicher sei und er widersprüchliche Aussagen über Laozi gefunden habe, deshalb sei er nicht sicher, ob Lao Tse (Laozi) tatsächlich je gelebt habe.

Link zum Glossareintrag:
http://www.taichianer.at/wer-war-lao-tse-was-ist-das-tao-te-king#Lao-Tse

Die hier behandelte Aussage (eine →Transkription) ist sehr passend für das Praktikum des →Tai Chi Gung (Tai Chi Chuan, Taijiquan, …, →Schattenboxen, etc.).
Es kann für die Herangehensweise, für die fortgesetzte Übung (das „→Kung Fu„), für die →Mentale Disziplin, als auch zum Verständnis der „Wirkungsweise“ in der Kampfkunst als Vergleich gesehen werden.

Exkurs:
Obwohl die einzelnen „Kraftwirkungen“ des Tai Chi (Chuan) im (Kampf-)Einsatz ein wenig differenzierter zu sehen sind (Vgl. dazu auch „→Die Ba Gua„), so führt jener Vergleich mit dem „Wasser im Fluss“ auch als Allegorie zum besseren Verständnis des →Unterschiedes zu „äußeren Kampfkünsten“.

Selbst Bruce Lee nutzte dies, um den Unterschied zu anderen Kampfkünsten zu verdeutlichen indem er propagierte: „Be like water“ (dt.: „Sei wie Wasser“)!

Ich kann ebenfalls jedem Tai Chi Schüler nur empfehlen:
Damit Du Tai Chi besser verstehst und damit Du erkennen kannst, wie die Bewegungen ausgeführt werden sollen, drucke Dir diese Aussagen aus dem Daodejing (Tao Te Ching) aus.
Wenn Du magst, besorg Dir einen Bilderrahmen für den Ausdruck und hänge dieses Werk an prominenter Stelle in Deiner Wohnung auf, wo Du es täglich sehen kannst.
Sinne darüber nach und stelle Vergleiche mit Deinem Praktikum in Tai Chi her.

Der erste Satz beschreibt das Bewegungs- und Reaktionsverhalten.
Die →Bewegungen im Praktikum des Tai Chi sind wie das Wasser: Weich, fließend, sowie nachgebend und sanft, sofern ruhig ausgeführt.

Die Übungen werden ruhig und sanft ausgeführt – es besteht kein Grund zu Hektik und Eile. Was wiederum Vorteile – sozusagen: als Nebeneffekte – bietet: Die Präzision kann besser geübt und erreicht werden, ebenso werden gleichzeitig langsam kontrahierende Muskelstränge, als auch schnell kontrahierende Muskelfasern trainiert (der Muskeltonus insgesamt verbessert sich – s.d.a.: →Tai Chi Physiologie).

Aber genauso wie das Wasser „schiessen“ und „schnellen“ kann, können die Bewegungen, jederzeit ebenso unglaublich rasch durchgeführt werden (vor allem dann, wenn „Tausendmal geübt“ wurde) und dann…
…sind die (Aus-)Wirkungen „plötzlich“ hart und unüberwindlich.
Also: →yin und yang.

Ebenso, wenn ein Gegner „hart zuschlägt“ – er „trifft“ plötzlich auf „Härte“ und „Widerstand“, obwohl er ja der Meinung ist, dass…

Wie bei Wasser: Tauche ich eine Hand sanft und langsam in die Oberfläche eines „ruhigen“ Wassers, dann gelingt mir dies ohne merklichen Widerstand. Je höher die Bewegungsgeschwindigkeiten einer oder beider Dinge (also des Wasser und/oder der Hand), desto stärker ist der Widerstand. …oder die Hand prallt sogar ab!

So könnte man allgemein die „Kampfkraft“ oder den „Nutzen von Tai Chi im Kampf“ beschreiben. Was wiederum viele „Anhänger der äußeren Kampfkünste“ einfach nicht verstehen – wie auch, wenn ständig „Härte“ und „→li“ (in etwa: „Muskel-Schwung-Kraft“) propagiert wird!

Wichtig, nochmals:
Wasser ist hier der Vergleich zum allgemeinen Verhalten, nicht die Anwendung (eines) der Ba Gua!

Der zweite und dritte Satz vergleicht mit die Wirkungen, bei regelmäßiger, kontinuierlicher Anwendung bzw. Ausführung (also: „→Gung“ bzw. „→Gung Fu„) – wir kennen dies in Europa auch mit der Redensart: „Steter Tropfen höhlt den Stein“.

Egal, welche Herausforderung auf jemanden zukommen mögen, Beharrlichkeit, Beständigkeit und „fortgesetztes Fließen“ mit Ausdauer, überwinden alle Schwierigkeiten und „Härten“.

Fazit:

Hierin ist bei weitem noch nicht alles angesprochen worden, was der „Vergleich mit dem Wasser“ im Zuge mit dem Praktikum des Tai Chi bzw. des Lebens (laut dem Dàodéjing, Lao Tse) noch hergeben vermag.

Es lohnt sich unbedingt, darüber nachzusinnen, was es bedeutet: „Sei wie Wasser“ – und nicht nur im Kampf.
Dies meint auch Lao Tse am Ende seiner Ausführung: „Jeder sieht es in jedem Fluss, doch nur die wenigsten setzen diese Prinzipien für ihr eigenes Leben ein. Kaum einer setzt dieses Wissen um.“

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