Achtsamkeit ist ja ein Begriff und ein Betätigungsfeld, welches in den letzten Jahren zu einem Milliardengeschäft(!) – in den USA – geworden ist.
Es gibt hierzulande ebenfalls hunderte Bücher zu diesem Thema, Kurse, Ausbildungen, sowie psychologische Beratung.
Das Wort Achtsamkeit findet sich in vielen Publikationen, online, wie offline. Print und digital.
Wie es scheint: Ein aktueller Mainstream-Hype.
Bei näherer Betrachtung kommt als erstes die Frage auf:
Achtsamkeit – Was ist eigentlich damit gemeint?
Beziehungsweise: Was versteht der jeweilige Autor, Kursleiter, …, Psychologe darunter?
In Folge lässt sich erkennen: Es hängt von der jeweiligen Definition ab – und: Je nach Interpretation, werden dann die entsprechenden Ratschläge, sowie Angebote unterbreitet.
Ursprünglich stammt der (gehypte) Begriff „Achtsamkeit“ aus einer Übertragung des in den USA hierzu gebräuchlich gewordenen amerikanischen Begriffs „mindfullness“.
Damit finden sich entsprechende Definitionen im Deutschen, wie zum Beispiel:
„Achtsamkeit bedeutet, im Hier und Jetzt zu sein – und zwar nicht nur körperlich, sondern auch mental“ [Anm.: wegen „mind“!].
Dies scheint für die meisten Menschen kein Normalzustand.
Denn: Viele hängen die meiste Zeit mit ihren Gedanken entweder in der Vergangenheit fest (was geschehen ist – was und wie etwas gewesen war – was man selbst oder andere getan oder gelassen haben), oder beschäftigen sich mit Sorgen, Befürchtungen, Wünschen, Hoffnungen und denken damit ständig über die Zukunft nach.
Die „mindfullness“-Bewegung nahm ihren Ausgang in den USA, wo Gurus, Yogis …und viele, viele andere „Berufene“ sich beispielsweise auch mit der „higher Awareness“ im „real life“ auseinandersetzten. Angefangen in den späten 60igern bis in die 1970igern („Hippie-Zeit“), erkannte man im aktuellen Jahrzehnten (in den 2010ern und folgende), dass „grundsätzlich“ die Aussagen und Anleitungen zu Medititation, Entspannung, Konzentrations- und Kontemplationsübungen „dem Menschen gut tun“ und so wurden ebenfalls die Fachgruppen von Psychologen, Therapeuten, Lebensberater, Life-Style-Berater usw. usf. darauf aufmerksam und „witterten“ neue Einsatzmöglichkeiten, Betätigungsfelder, Forschungsthemen, …, …und ebenso natürlich: Ein lukratives Geschäft.
Damit kein Mißverständnis auftaucht: Nichts gegen „gute Geschäfte“ – Leistung und Arbeitseinsatz sollen entsprechend bezahlt werden und honoriert sein. Und: Gute Qualität soll auch gut entlohnt werden. Keine Frage!
Jedoch dient zuvor Genanntes als Erklärung, warum gerade jetzt „so viel“ von und über „Achtsamkeit“ angeboten wird.
Gerade aus jener Menge unterschiedlichster Quellen und Angebote ist es für einen Einzelnen nicht leicht, die essentiell passende Information zu entnehmen.
Grob lassen sich die Anleitungen und Ausführungen zu Achtsamkeit in zwei Grundrichtungen unterscheiden:
- die erste setzt als Prämisse eine gesteigerte Wahrnehmung UND Aufmerksamkeit der Umwelt (der Umgebung! – des „AUSSEN“!) voraus;
- die zweite setzt als Prämisse die gesteigerte Wahrnehmung von Einzelaspekten der Umwelt und Aufmerksamkeit gegenüber der WIRKUNG jener Wahrnehmungen „IM INNEREN“ voraus;
Das führt dann genau zu dem Dilemma mit der Achtsamkeit: „Was gilt jetzt wann?“.
Und: „Wie „mache ich das jetzt“? bzw. „Kann das dann stimmen? (…weil in der Praxis, im Leben, sieht es dann meist anders aus…).
Ebenso bei den Anleitungen. Einerseits „für das Abdriften“, „Wegschalten“, „Abgrenzen“ bis hin zu „Psychedelischen Erfahrungen“ (…welche man „früher mal“ auch mit diversen Drogen erreichen konnte/wollte). Andererseits das andere Extrem der „vollständigen Kontrolle“ „seiner Selbst“ sowie „der Umgebung“.
Da finden sich dann „Achtsamkeitstrainierende“ im Park, welche „völlig weggetreten“, fokussiert auf eine einzige Sache, „wie in Trance“ von der Umwelt und Umgebung um sie herum „gar nichts mehr mitbekommen“.
Ein freundlicher Gruß im Vorbeigehen – zwecklos. Jener Mensch ist eigentlich nicht mehr im „Hier und Jetzt“ – was ja wiederum bedeutet: Eigentlich ist er ja gar nicht „achtsam“, sondern allenfalls was anderes, oder?
Das andere Extrem findet sich häufig in (übersteigenden) Anleitungen zur „Selbstkontrolle“, „Selbstorganisation“, bzw. „Selbstverwirklichung“ sowie auch bei „fanatischen“ Kampfsportbetreibern: „Alles muss beachtet“ und vor allen Dingen „kontrolliert sein/werden“. Die Lösung scheint für jene darin zu liegen, alles und jede Situation „zu beherrschen“. Das Leben lehrt ebenfalls meist anderes – nicht wahr?
Ist denn jener Mensch „achtsam“, indem er jede Empfindung und Eindruck ignoriert, welche das „Unkontrollierbare“ in ihm auslösen könnte und nur das „annimmt“, worauf er vorbereitet ist – eher: scheint?
Wie so oft, hat der Volksmund (zumindest im Kern) dann recht, wenn er behauptet: „Die Wahrheit liegt bekanntlich in der Mitte“.
Interessanterweise bietet wiederum die Beschäftigung und die Praxis von TAI CHI (Tai Chi Chuan, Taijiquan) genau das: Nämlich beides!
Die Praxis von Tai Chi Gung bietet:
- Das Bewusstmachen der eigenen (Körper-)Empfindungen, respektive: Verstärkung der Propriozeption, mentaler Fittness & Gelassenheit (Das „Innen“),
- bei gleichzeitiger Erhöhung der Wahrnehmungsfähigkeit UND Akzeptanz(!) der Umgebung (Das „Außen“);
Anmerkung: Aber auch bei der Beschäftigung mit Tai Chi (Chuan) finden sich „unter dessen Praktikanten“ ebenfalls jene, welche – man verzeihe mir, ich sage: irrigerweise – den Schwerpunkt der Übungen darin sehen, entweder das eine oder andere „auszublenden“.
Das Praktikum von Tai Chi (Gung) bedeutet jedoch immer „zugleich“!
Selbstverständlich ist dies ein Lern-, Übungs- und Entwicklungsprozess: Kaum jemand ist in der Lage, „vom Fleck weg“ sofort alle →Aspekte einer Übung zu beherrschen – geschweige denn, dauert es Jahre(!) bis jemand dies in „umfangreichereren“ und komplexeren →Formen „durchgehend“ beherrscht.
Die Definition von Achtsamkeit hierbei wäre nun:
Die erhöhte und fortgesetzte(!) kontemplative Aufmerksamkeit sich selbst gegenüber mit allen Aspekten des „Mensch Seins“ (d.h.: Körper, Geist und Seele – psychisch, physisch, mental, emotional und spirituell …) bei gleichzeitigem „vollem Respekt“, Wahrnehmung und Anerkennung anderer Lebewesen, der Natur, der Umgebung und der aktuellen, momentanen Situation in der Umwelt(des direkten Umfeldes!) in der man sich im „Hier und Jetzt“, in der Realität, gerade befindet.
Also: Der Zustand des (Voll-)bewussten Menschen, wie ihn viele „alte Meister“ unterschiedlichster Kulturen beschreiben.
Achtsamkeit ist dann aber nicht nur erhöhte oder verbesserte Aufmerksamkeit.
Es ist also nicht nur die Fähigkeit, Eindrücke von „innen“ und „außen“ besser „wahrzunehmen“ („higher awareness“), sondern jene Wahrnehmungen und Vorgänge dann auch „zu be-achten“!
Der erste Schritt zu besserer Achtsamkeit wäre zuvor eine Schulung und Verbesserung der Aufmerksamkeit – und zwar: „gegenüber Allem“!
Sprich: Wenn ich gar nicht checke, was aktuell in mir UND(!) um mich herum vorgeht – wie soll ich dem dann die nötige bzw. notwendige „Be-Achtung“ schenken?
In Folge, bzw. im Fortgang der (persönlichen) Entwicklung folgt das Verständnis („Das Verstehen“).
Ohne Verständnis fehlt die Bedeutung, ohne Bedeutung gibt es keine Erkenntnis.
Ohne Erkenntnis fehlt die Achtung, der Respekt, das Vertrauen und die („wirkliche“) Handlungsfähigkeit des Menschen.
Exkurs:
Wenn es „eh wurscht“ ist oder „eh nichts bedeutet“, warum sollte ich dann…?
Beispielsweise: …jemanden im Park zurückgrüßen, wenn ich grad intensiv mit meiner „Achtsamkeitsübung“ beschäftigt bin?
Somit schließt sich hierbei auch der Kreis, dass die Achtsamkeitsschulung im Tai Chi exakt der Schulung und Entwicklung der „→Dreiheit der Kampffähigkeit“ entspricht.
Wobei „Kampf-Fähigkeit“ generell mit (verbesserter) „Handlungsfähigkeit“ gleichzusetzen ist!