Tai Chi Physiologie

Glossareintrag: Tai Chi Physiologie
und
Ask a Sifu:
Wie lässt sich das Training von Tai Chi (Taiji) sportphysiologisch beschreiben?
Welches Training ist Tai Chi physiologisch gesehen?

Unser Trainer und Obmann, Gottfried Michael Rinner, definiert dies folgendermaßen:
„Das körperliche Training von Tai Chi (Chuan) entspricht physiologisch einem isotonisch-dynamischen Muskeltraining mit wechselnden Belastungsvektoren, welches hauptsächlich die langsam kontrahierenden, roten Muskelfasern, nutzt und stimuliert.“
[Gottfried Michael Rinner, Salzburg, im Juni 2011].

Zur Erklärung der Begriffe

Physiologie ist grob gesagt die Lehre von den körperlichen Vorgängen im Organismus; … die Sportphysiologie befasst sich als Teilgebiet hierbei vorwiegend mit funktionellen Zusammenhängen (physikalisch und biochemischen), die – körperliche – (Arbeits-)Leistung ermöglichen.

Isotonisch-dynamisches Muskeltraining
Die Vorsilbe „iso“ steht für „gleichbleibend“. Mit „Tonus“ ist (med.) der Spannungszustand der Muskeln bezeichnet.
Jenes Training erfordert also eine Bewegungsleistung bei – gegenüber dem Ruhezustand (ein wenig) erhöhter – gleichbleibender Anspannung der Muskulatur.
Es ist das am meisten bekannte und genutzte Körpertraining, wobei entweder ein Gewicht oder ein Widerstand von während der Übung gleichbleibender Größe (z.B.: gleich große/schwere Hantel, gleiche Krafteinstellung am Trainingsgerät, etc.) überwunden wird.
Seit es also Gewichtstraining gibt, wird isotonisch gearbeitet.

Anmerkung:
Im Gegensatz dazu sei das „Isometrische Muskeltraining“ (manchmal auch statisches Training) genannt.
Mit „iso“, gleichbleibendem, „metrischem“ Faktor: Der hierbei zu überwindende Widerstand ist so groß, dass er keine Bewegung zulässt.
[Eselsbrücke: Man/es bewegt sich „keinen Meter“].
Dabei kann an der einen Stelle, an der der Muskel „fixiert“ wird, Maximalkraft angewendet werden. Auf diese, in einer genau bestimmten Position, angesprochenen Muskelfasern hat das isometrische Training eine sehr starke Wirkung. Dieser Vorteil ist zugleich Nachteil: Es kann jeweils nur exakt jene – bestimmte – Position maximal trainiert werden.

Beispiele für Isotonisch-dynamisches Muskeltraining wären auch:
Liegestütz, Klimmzüge, Kniebeugen – Der gleichbleibende zu überwindende Widerstand entspricht hierbei dem eigenen Körpergewicht (je nach Übung – natürlich: Anteil des …).

Genauso angeführt kann hierzu das „Gerätetraining“ oder „Hanteltraining“, welches heutzutage vielen aus diversen Fitnessstudios bekannt ist und erstmals durch publik werden von „Body-Building“, später dann durch „Body-Shaping“, „Figur-Forming“ oder ähnliches weite Verbreitung fand.

Nachteil dieses „klassischen“ isotonischen Muskeltrainings ist, dass aufgrund der Hebelverhältnisse bei Menschen und der ballistischen Kraft des zu bewegenden Gewichts nur in einem sehr schmalen Bereich des Bewegungsradius maximale Kraft angewendet werden kann (wobei natürlich immer nur ein Gewicht gehoben werden kann, welches so schwer ist, dass es die schwächste Stelle der Hebelkette noch bewältigen kann), daher werden immer nur bestimmte Muskelgruppen gezielt optimal trainiert.

Jenes „klassische“ isotonische Muskeltraining wird somit ebenfalls in eine Vielzahl von Einzelübungen – je nach Muskelgruppe – unterteilt und angewendet. Dies erklärt auch die teils massive „Notwendigkeit“ unterschiedlichster Trainingsmaschinen (für den Bizeps, Trizeps, Quadrizeps, …, für den Po, für den Rücken, für die Beine, etc.pp.).

Somit ist hierbei das Training – möglichst aller – Muskelgruppen des Körpers insgesamt relativ aufwändig und zeitraubend.

Was meint Gottfried nun mit: „wechselnden Belastungsvektoren„?

Das Training von Tai Chi (Chuan) unterscheidet sich vom „klassischen“ isotonisch-dynamischen Muskeltraining auch dadurch, dass eben hierbei Bewegungen in der Regel zwar mit gleichbleibender, leicht erhöhter, Belastung/Widerstand ausgeführt werden, aber im Gegensatz dazu, sich ständig die Bewegungsrichtung (der Vektor des Krafteinsatzes), sowie damit einhergehend die Muskel(faser)belastung, bzw. die Beanspruchung der beteiligten Muskelgruppen, sich – in einer Einzelübung, wenn man so möchte (wobei es diese im Formentraining ja eigentlich gar nicht gibt) – ebenfalls ständig ändert.

Zwei kurzgefasste Beispielsvergleiche zum besseren Verständnis.

Betrachten wir eine Einzelübung aus dem „klassischen“ Gewichtstraining, das Kurzhanteltraining zur Kräftigung des Bizeps:
Man sitzt oder steht, der Oberarm wird mehr oder weniger am Ellbogen fixiert, man nimmt die Hantel (Gewicht) in die Hand und beugt und streckt den Unterarm, hebt und senkt somit das Gewicht, und achtet möglichst darauf, dass der Bewegungsradius – und somit der Belastungsvektor – sich nicht(!) verändert. D.h.: Das Gewicht, die Hand, wird immer auf möglichst exakt die gleiche Art und Weise bewegt, ohne diese zu drehen, kippen, oder sonst irgendwie zu verändern (Anm.: Dies hat natürlich auch mit der Vermeidung von Verletzungsrisiken aufgrund des „schweren“ Gewichtes zu tun).
Anders ausgedrückt: Der Bizeps – bzw. die mit der Übung verbundenen Muskelgruppen – werden immer exakt auf die gleiche Weise – mit dem selben Vektor – stimuliert.

Im Tai Chi – Training werden weder einzelne Muskelgruppen (alleinig) bewegt, noch aufeinanderfolgend mit exakt dem gleichen Bewegungsradius. Wird beispielsweise eine Hand ausgestreckt, folgt immer irgend ein anderer Körperteil oder Bewegung (siehe dazu auch Blogartikel: →Bewegung in Tai Chi (Chuan) bzw. →Die Tai Chi – Prinzipien) – Darüber hinaus kann/wird die Hand und der Arm gedreht, spiralförmig oder bogenförmig bewegt sowie auf andere Art und Weise „zurückbewegt“.

Nehmen wir als zweites Beispiel das nahezu jedermann bekannte Kniebeugen als Einzelübung zur Kräftigung der Beinmuskulatur: Beim Beugen und wieder Strecken der Knie achtet man in jener Übung exakt darauf, dass der Bewegungsablauf immer gleichbleibend ausgeführt wird. D.h.: Die Belastungsvektoren bleiben wiederum gleich.
Der Widerstand ist dabei das eigene Körpergewicht.

Beim Tai Chi (Gung) könnte hierzu im Vergleich eine Vorübung (für Anfänger) heranzogen werden: Die Vorübung für die ‚hockende Peitsche‘, wobei man ebenfalls „in die Knie geht“ – nur: Es wird hierbei das Gewicht beim Tiefergehen mit aufgerichteter Wirbelsäule zuerst vollständig auf ein Bein verlagert – allein dadurch ändern sich schon die Belastungsvektoren während des Ablaufs (und die Kniestellung – Achtung: Bitte keinesfalls aufgrund dieser paar Sätze nachmachen!), nach dem Aufrichten folgt bei erneutem „Sinken“, die vollständige Gewichtsverlagerung dann auf das andere Bein (zur anderen Körperseite).

Nur: Jener Vergleich hinkt ein wenig, da das Tai Chi – Training, ja nicht aus „Vorübungen“ besteht, sondern größtenteils natürlich sogenannte „→Formen“ geübt werden.

Jene Formen entsprächen daher eher einer „Trainingseinheit im Fitnessstudio“, wobei mehrere Muskelgruppen-Einzelübungen „auf einmal“ oder in „einem Durchlauf zugleich“ vollzogen werden.

Daher verglichen die Chinesen wahrscheinlich auch einen Tai Chi – Praktizierenden mit einem Holzfäller (siehe auch: →Warum sagt man bei Taiji: Die Kraft eines Holzfällers?) – Dessen „Einzel-Übung mit der Axt“ beispielsweise auch nicht darin besteht, immer wieder in die gleiche Kerbe zu schlagen, sondern nahezu ständig seinen Arm, sein Handgelenk und sein Werkzeug, „leicht verändert“ ansetzt und gebraucht (d.h.: „mit wechselnden Belastungsvektoren“).

Das Training von Tai Chi könnte somit eher mit dem körperlichen Einsatz und Beanspruchung beim Tanzen oder noch besser: mit Sportklettern (Free-Style), verglichen werden, wo ebenfalls die Muskelkraft den eigenen Körper(widerstand) mit wechselnden Belastungsvektoren zu überwinden hat.

Der letzte Halbsatz der Definition von Gottfried, bezieht sich darauf, dass Tai Chi in der Regel vorwiegend bewusst langsam praktiziert und geübt wird.
Damit werden andere Muskelfasern stimuliert und trainiert und somit auch andere – wir sagen: bessere! – Trainingseffekte für den gesamten Körper erzielt –
Siehe dazu auch Blogartikel (Stichwort →Irrtümer): →Irrtum 4: Langsames Training bringt keine Kraft.

Tipps:

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Eine Antwort zu Tai Chi Physiologie

  1. Fionna sagt:

    lool!! this is an awesome idea! 😉

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