Was bedeutet Zentrieren?

Glossareintrag: Zentrieren

Das Zentrieren oder die Zentrierung

ist eine weitere äußerst wichtige „Fähigkeit“ bei der Ausübung von Tai Chi (Chuan) und wurde daher sogar von →Cheng Man-Ching als eine der „five directions“ („five movements“ – fünf Richtungen, fünf Bewegungen), also in sein „→Geheimnis der 13 Techniken“ (siehe dort) aufgenommen.

Eine genaue Erklärung des „Zentrieren“ würde seitenlange Erläuterungen mit sich ziehen und hier den Rahmen sprengen –
daher soll folgendes nur dem kurzen Überblick dienen.

Kurz gesagt:
Gemeint sind hierbei sowohl geistige und seelische als auch körperliche Vorgänge, welche simpel auch mit „→Meditation„, oder besser noch: „Gelassenheit gepaart mit Konzentration auf das Hier und Jetzt“, umschrieben werden können.

Gleichzeitig gemeint sind also auch sowohl der körperliche Mittel- und Schwerpunkt, das →Dan Tien, die Aufrechterhaltung des Gleichgewichtes in jeder Haltung und die korrekte Schwerpunktverlagerung während einer Bewegung, als auch die Findung und Beibehaltung der „eigenen →Mitte“ (seelisch und geistig).

Für die Übung

könnten daher zwei →Aspekte der Zentriertheit unterschieden werden:
Eine körperliche und eine mentale Ebene.

Auf der körperlichen Ebene bedeutet dies, dass Dein Körper in Balance ist, das →Dan Tien ausgeprägt ist und das →Chi sanft und ungehindert durch alle Meridiane fließt.

Auf der mentalen Ebene bedeutet dies, dass Du exakt auf diesen Moment konzentriert bist und Dein Geist durch keine Gedanken abgelenkt ist.

Noch besser formuliert wäre: „Kontemplation“ anstelle „Konzentration“.

Wer Tai Chi (Chuan) regelmäßig ausübt, spürt schließlich direkt und unmittelbar, ob er/sie in der richtigen Verfassung ist oder momentan eben nicht „ganz bei sich“ ist. Dies ist eine Erkenntnismöglichkeit („Fähigkeit“), welche ausschließlich persönlich erfahren werden kann.

Die Frage: „Bin ich zentriert?“
kann infolgedessen jeder Mensch nur für sich selbst beantworten.

Anmerkung:
Selbstverständlich lässt sich dies auch für einen geschulten „Aussenstehenden“ (z.b. einem „Meister“ oder einen sehr fortgeschrittenen Taichianer) durch Beobachtung des jeweiligen Schülers (Menschen) indirekt ableiten. Beispielsweise „sieht“ man ja auch, ob jemand unkonzentriert ist oder abschweift.

Trainingsmöglichkeit für Anfänger

Ein Anfänger kann beispielsweise sich darin üben, sich während des Tages selbst zu beobachten, indem er bei Tätigkeiten einfach kurz innehält – wenn möglich auch einmal seine Augen schließt – und sich ganz auf seine Gefühle und Empfindungen einstellt.

Anregungen:

  • Wie fühlst Du Dich zu Beginn des Tages?
  • Falls Dich keine tiefsitzenden Sorgen plagen, solltest Du Dich ruhig und entspannt fühlen. Achte darauf, wie Du am Morgen mit Deinem Partner oder Familienmitgliedern umgehst. Bist Du unbekümmert und fröhlich, oder wirst Du wegen Kleinigkeiten mürrisch?
  • Wie fühlst Du Dich auf dem Weg zur Arbeit?
  • Wie fühlst Du Dich während des Arbeitstages, zu Mittag oder am Abend?
  • Wenn Du Anspannungen spürst, was machst Du dann? – Verspannst Du Dich, oder versuchst Du dagegen etwas zu tun?
  • Was machst Du bei Konflikten?
    Bedenke: Konflikte entstehen nicht nur durch unseren Umgang mit anderen, sie gehen auch von uns selbst aus.
    „Reagierst“ Du (automatisch) – oder: „Agierst“ Du (bewusst), um Konflikte zu lösen?
  • Bist Du Dir bewusst, was gerade um Dich herum vorgeht, oder bist Du mit Deinen Gedanken häufig „ganz woanders“?
  • Wie fühlst Du Dich „jetzt“ und welche Eindrücke, Empfindungen nimmst Du gerade von Deiner Umgebung wahr?

usw. usf.

Während des Tai Chi Praktikums zentriert bleiben

Jede Tai Chi -→Form sollte aus einem zentrierten Zustand heraus begonnen werden.

Hierzu dient das Einnehmen der →Ausgangsposition und das (mentale) Durchgehen der „Checkliste für die korrekte Körperhaltung“ (siehe dazu auch Seite 24 bis 33 im Handbuch „Tai Chi Gung – Grundkurs“, bzw. Trainingsinfo Nr. 3 „Grundschule – Die richtige Körperhaltung – nur für registrierte Mitglieder).

Um die Zentrierung innerhalb der Form aufrecht zu erhalten, kann ein Anfänger beispielsweise hierzu auch einen bestimmten einzelnen Aspekt auswählen und sich ausschließlich darauf konzentrieren. So kann er/sie sich zum Beispiel einmal darauf konzentrieren, ob seine Finger und Handflächen in jeder Haltung und Position locker und entspannt bleiben, ein andermal darauf, wie die Beine die Gewichtsverlagerung vollführen und von einem Gefühl der Leichtigkeit zu Schwere wechseln.

Wieder ein anderesmal darauf, ob während der Form die Atmung durchgehend gleichmäßig und ruhig bleibt. Dann vielleicht einmal, ob die „→Bilder“ korrekt ausgeführt werden und alle Bewegungen und Haltungen fließend vonstatten gehen.
Und so weiter und so fort – immer EIN Aspekt der Form wird beobachtet, ausgeführt und „behandelt“, ohne mit den Gedanken dabei abzuschweifen.

Der Fortgeschrittene

nutzt beispielsweise auch Einzelübungen, wie die Übung „→Den Baum umarmen“ in der Reiterhaltung, dazu einmal „tagsüber“ innezuhalten und sich bewusst zu „Zentrieren“.

Ein Fortgeschrittener (er-)kennt schließlich eine Vielzahl von anderen Möglichkeiten, die Erfahrungen des Tai Chi (Chuan) direkt im Alltag anzuwenden – sei es durch seine „innere“ wie auch „äußere“ Haltung, als auch durch sein Verhalten und seine (Körper-)Bewegung im „ganz normalen Umfeld“.

Denn: Wer Tai Chi (Chuan) verinnerlicht hat, „lebt“ Tai Chi.

Anmerkung:
So wie ein „geschultes Auge“ zu erkennen vermag, ob sein Gegenüber in (inneren) Kampfkünsten ausgebildet ist –
weil sich jener Mensch eben dann anders bewegt, anders geht, anders steht, anders atmet, anders handelt, … und anders spricht!

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